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Zweites Kapitel: Ein Tag des Pfarrers von Ars. Seine Korrespondenz.



Der Missionär Monin, der Verfasser des ausführlichen Lebens vom Pfarrer von Ars, aus dessen Werk dieser kürzere Lebensabriss entnommen ist, findet es geeignet, nicht seine eigenen Erlebnisse anzuführen, wenn es sich darum handelt, zu beschreiben, in welcher Weise Vianney den Tag zubrachte. Er fürchtet, man möchte ihn der Übertreibung zeihen, wenn er auch noch so gewissenhaft das mitteilte, was er erlebt hat. Deshalb führt er den Brief eines Pilgers an, und zwar das Schreiben eines Mannes, der durch seine ausgezeichneten Geistesgaben, durch seine religiösen, in seinem Lehramt sich kundgebenden Überzeugungen dem Lehrkörper Frankreichs zur Zierde gereicht, des Herrn Louis Lacroix, Professors an der wissenschaftlichen Fakultät zu Nancy. Dieser kam im Sommer 1857 nach Ars und hatte das Glück, sich mit Vianney zu bereden und sich an seiner Tugend zu erbauen. Er beschrieb sodann das, was er in Ars gesehen und gehört hatte; von diesem Schreiben geben auch wir hier einen Auszug.

Nachdem Herr Lacroix erzählt, dass er auf Aufforderung eines Freundes, der früher schon in Ars gewesen war, sich zu einer Pilgerreise nach diesem Orte entschlossen und diesen Plan auch ausgeführt habe, beschreibt er seine Reise dahin sowie seinen Aufenthalt daselbst. Unter einem heftigen Platzregen bestieg er den vollgedrängten, nach Ars fahrenden Omnibus; der Regen dauerte fort, und da es schon einige Tage geregnet hatte, so hielt er dies für ein ihm günstiges Ereignis, indem er voraussah, dieses Wetter werde doch viele zu einem Aufschub der Reise veranlassen, und es werde ihm so Gelegenheit geboten, den Pfarrer leichter sprechen zu können.

In Ars angelangt, stieg er in einem Gasthause ab, wo man gut und billig bedient wurde, und zwar, wie die Wirtsleute sagten, auf den ausdrücklichen Wunsch des Pfarrers – ein Beweis für den großen Einfluss Vianneys auf seine Gemeinde. Die ganze Reisegesellschaft begab sich zur Kirche, wo sie den Pfarrer zu finden hoffte. Herr Lacroix hatte geglaubt, die mit dem Omnibus angelangten Reisenden seien die einzigen in Ars dermalen anwesenden Fremden; doch wie ward er enttäuscht! Statt einer leeren Kirche, wie er zu glauben meinte, fand er dieselbe zahlreich besetzt. Die Frauen standen im Schiff der Kirche, und die Männer auf dem Chor; alle waren schweigsam, still, in Betrachtung oder Gebet versunken.

Den Pfarrer selbst bemerkte er indessen nicht, und nach eingezogener Erkundigung nach ihm erhielt er den Bescheid, derselbe sitze in der Sakristei, wo er die Männer der Reihe nach Beicht höre, und zwar jetzt gerade die, welche tags zuvor angekommen waren. Da es bereits fünf Uhr nachmittags war, so hatte Herr Lacroix keine Hoffnung mehr, an diesem Tage an die Reihe zu kommen; allein er beklagte sich nicht und freute sich darüber, nun beobachten zu können, wie der Pfarrer von Ars seinen Tag beschließe, um am nächsten Tage dann den Beginn desselben zu sehen.

So vergingen drei Stunden, und es war acht Uhr abends geworden. Vianney war unsichtbar; die Tür der Sakristei ging auf und zu; die Pilger traten ernst, gesammelt, oft zerknirscht in den Beichtstuhl und erschienen ruhig, freudig und glücklich beim Heraustreten aus demselben. Obwohl es bereits Nacht geworden war, waren neue Pilger eingetreten, und die Kirche füllte sich noch mehr, da die Stunde zum Abendgebet nahte. Jetzt trat Vianney aus der Sakristei, um die Kanzel zu besteigen, wo er das Abendgebet verrichtete – aber mit einer Stimme, der man die Erschöpfung anmerkte. Nach dem Gebet stieg er herab und ging zwischen einer Reihe von Gläubigen, denen er den Segen spendete, durch eine Seitentür in seine Wohnung zurück. Herr Lacroix war von seinem Anblick tief erschüttert und erkannte sofort, dass Vianney kein gewöhnlicher Mensch sei. Er erkundigte sich nun, wie man es anfangen müsse, um zum Pfarrer zu gelangen; man riet ihm, um vier Uhr morgens zu kommen, dann könne er im Laufe des Vormittags ihn sehen und an demselben Tage noch abreisen.

Am andern Morgen, Freitag, den 11. September, begab er sich vor vier Uhr zur Kirche und fand trotz der frühen Stunde schon wieder eine große Menschenmasse versammelt, so dass er ziemlich entfernt von der Sakristei war.

„Seit wann sind Sie hier?“, fragte er einen seiner Nachbarn.

– „Seit zwei Uhr diesen Morgen.“

– „Und wann ist der Herr Pfarrer gekommen?“

– „Um Mitternacht.“

– „Wo ist er, und was tut er jetzt?“

– „Da, hinter dem Chor, im Beichtstuhl; er hört jetzt die Frauen Beicht; dies tut er gewöhnlich am Freitagmorgen. Die Männer kommen erst nach der heiligen Messe an die Reihe.“

Man erzählte ihm, dass um Mitternacht die Kirche geöffnet werde und dann sogleich die Menge hereinströme, die schon lange vor der Kirche gewartet habe.

Unser Pilger war etwas unwillig über den Sakristan, weil dieser ihm tags zuvor keine frühere Stunde angegeben habe. Er betrachtete ihn heute, als er ihn wieder still und ruhig zwischen den Pilgern einherschreiten und jedem seinen Platz anweisen sah. Obwohl er nun ein kleines Vorurteil gegen denselben hatte, fiel ihm dennoch dessen Ruhe und feines Benehmen auf. Er erfuhr denn auch, dass derselbe, von einer angesehenen Familie, in Ars geheilt worden sei und er nun aus Dankbarkeit sich diesem mühsamen Geschäft unterzogen habe – gewiss keine Kleinigkeit, wenn man bedenkt, dass der Pfarrer oft zwanzig Stunden des Tags im Beichtstuhl saß.

Um sechs Uhr las der Vikar die heilige Messe, und um sieben Uhr verließ Vianney den Beichtstuhl und begab sich in die Sakristei. Da Herr Lacroix den Pfarrer sehnlichst zu sprechen wünschte, so riet ihm der Vikar, in die Sakristei zu schlüpfen und zu versuchen, ob er den Pfarrer sprechen könne. Allein dies hatte keinen Erfolg; der Pfarrer von Ars grüßte ihn, hörte ihn aber nicht an, sondern zog die Messkleider an, damit die Feier der heiligen Messe keinen Aufschub erleide. Er las die Messe am Altar der heiligen Philomena, die er ganz besonders verehrte. Auch nach der heiligen Messe konnte Herr Lacroix nicht zu dem Pfarrer gelangen, und er musste heute warten wie gestern.

Unmittelbar nach der heiligen Messe brachte man dem Pfarrer Medaillen und Rosenkränze zum Segnen und führte ihm Kinder zu, denen er die Hände auflegte. Dann ging er in eine kleine Sakristei an der rechten Seite der Kirche, wo er nacheinander mehrere Damen empfing, die ihn um Rat zu fragen hatten. Dies dauerte eine Stunde, dann begann wieder das Beichthören, und wieder konnte Herr Lacroix ihn nicht erreichen. Zehn Stunden lang dauerte dieses Schauspiel, der Pfarrer hielt unermüdlich aus. Vier Stunden weniger hatte Herr Lacroix ausgehalten, da er später gekommen war; er hatte nicht die Ermüdung und fortwährende Geistessammlung zu erdulden, dennoch war er vollkommen erschöpft. Es gelang ihm schließlich, sich so zu platzieren, dass der Pfarrer beim Öffnen der Tür ihn sehen musste; da endlich winkte er ihm.

Herr Lacroix wünschte, zwei Fragen an ihn zu stellen; diese hatte er sich vorher zurechtgelegt, um möglichst kurz zu sein. Der Pfarrer antwortete sofort, ganz entschieden, ohne Zögern, ohne lange zu überlegen, und seine Antworten waren ebenso klug und einsichtsvoll wie entschieden, klar und bestimmt. Man hätte denken sollen, dass er, der seit Mitternacht schon geistig in Anspruch genommen war, abgespannt und ermüdet hätte sein müssen; allein weit entfernt – immer, in allen Fällen, mochten sie auch noch so schwierig und verwickelt sein, wusste er den richtigen Rat zu erteilen.

Nachdem er nun auch Herrn Lacroix’ Fragen beantwortet hatte, sprach dieser zu ihm: „Nun noch eine Bitte, mein Vater! Ich gehe nach Rom, um dort am Grabe der Apostel zu knieen und zu beten. Geben Sie mir doch Ihren Segen, damit er mich während der Reise begleite.“ Bei dem Wort Rom spielte ein freundliches Lächeln auf Vianneys Zügen, er erhob seine meistens gesenkten Augenlider, und sein ganzes Wesen belebte sich: „Ach!“ rief er aus, „Sie gehen nach Rom! Sie werden dort den heiligen Vater sehen! Ich empfehle mich in Ihr Gebet an der Confessio der heiligen Apostel.“ Nach diesen Worten gab er Herrn Lacroix den verlangten Segen, dieser küsste ihm die Hand und zog sich in gehobener, freudiger Stimmung, voll Ehrfurcht und mit neuer Kraft belebt, zurück.

Gegen Mittag hielt Vianney sodann seine tägliche Katechese vom Altar aus; auch an dieser beteiligte sich Herr Lacroix und bemerkte, dass die Beredsamkeit des Pfarrers weit weniger in seinen Worten als in seinem ganzen Wesen gelegen habe. Sein Organ war sehr schwach, dennoch übte er große Gewalt über alle Anwesenden aus. Alle lauschten auf ihn wie auf einen allverehrten Vater. Dieser Vortrag dauerte bis Mittag, und darauf zog sich der Pfarrer in seine Wohnung zurück, um zwei bis drei Stunden auszuruhen.

So also verlief ein Tag des Pfarrers von Ars, und mit unbedeutenden Abänderungen verbrachte er alle seine Tage in dieser Art.

Die Zeit des Mittagessens benutzte er sodann, um die untertags eingelaufenen Briefe durchzusehen. Diese Briefe trafen täglich in zahlreicher Menge ein, von allen Himmelsgegenden. Stieß er auf Briefe, die mit seinem Lob begannen, indem sie von seinem Ruf, von seiner Heiligkeit, von der allgemeinen Verehrung und dergleichen sprachen, so legte er sie ungelesen beiseite; nur solche Briefe wurden von ihm berücksichtigt, die einfach und zutraulich geschrieben waren.

Die an ihn gerichteten Briefe enthielten zuweilen Papiergeld für Messstipendien oder für Almosen oder auch für Stiftungen. Briefe, in denen man ihm irgendetwas anvertraute, zerriss er sofort; erging sich ein Bittsteller in Weitschweifigkeiten, so ließ er sich Bericht darüber erstatten; die meisten Briefe enthielten jedoch Bitten um sein Gebet. Abbé Monin bedauerte, dass viele, ja die meisten dieser Briefe verloren gegangen sind; dennoch zitiert er eine große Anzahl, die wir nicht alle niederschreiben können und uns nur begnügen müssen, sie teilweise kurz anzuführen, als Beweis, dass aus allen Teilen Europas, aus allen Ständen und Rangverhältnissen Briefe an ihn gerichtet wurden.

Zuerst kommen drei Briefe aus Brügge in Belgien mit der Bitte, um Genesung für Kranke zu beten. Dann folgen vier Briefe aus Irland, darunter zwei von Ordensfrauen, und einer aus England. Alle fünf bitten um Gebet zur Genesung von Kranken. Dieselbe Bitte enthält ein Brief aus Preußen für eine kranke Familienmutter. Ordensgenerale und Obere verschiedener Klostergemeinden bitten um seinen Rat.

Der Erbe eines berühmten Namens fragt ihn um Rat, ob er ins Kloster gehen oder in der Welt bleiben und eine gute Partie machen soll. Drei Greise in vorgerücktem Alter verwerfen die Tröstungen der Religion; ihre trostlose Familie empfiehlt sie dem Gebet Vianneys. Die Vorsteher der Vereine des heiligen Vinzenz von Paul bitten um seinen Rat und sein Gebet. Eine junge Dame ist durch Lesen schlechter Bücher ganz verdorben. Sie sieht es ein, will zu Gott zurückkehren, fühlt sich aber zu schwach. Sie möchte nach Ars kommen, allein sie hat nicht genug Energie dazu; bittet um sein Gebet. Die Oberin eines deutschen Klosters bittet für eine kranke Nonne. Ein Deportierter schreibt von Sidi-Braham (Sidi-Brahim?) und bittet ihn, für seine Befreiung zu beten. In verschiedenen Briefen aus allen Gegenden Frankreichs bittet man um Gebet teils für Kranke und Sterbende, teils um Bekehrung der Sünder.

Noch eine große Menge derartiger Briefe beweisen, welches Vertrauen er in allen Teilen der Welt genossen hat. Viele Briefe baten inständigst um Antwort; allein dies war ein Ding der Unmöglichkeit – und doppelt unmöglich bei dem Leben, das, wie wir gesehen haben, Vianney täglich führte.

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