Johann Baptist Maria von Vianney, Pfarrer von Ars - erstes Buch
Zweites Kapitel: Seine erste Kommunion. Er arbeitet auf dem Feld der Frömmigkeit und Tugend
Die frühreife Tugend unseres Johannes ist um so auffallender, als sie einen großen Gegensatz bildet zu der Sittenlosigkeit der damaligen Zeit. Er erscheint uns wie eine Lilie unter Dörnern.
Frankreichs Klerus war vertrieben oder musste sich mit Lebensgefahr verborgen halten; die Kirchen waren geschlossen, teilweise zerstört und entweiht; der öffentliche Gottesdienst hatte ganz aufgehört, nur in den Familien und an den verborgensten Orten wurden noch religiöse Übungen vorgenommen.
Da es an Priestern fehlte, so versammelten sich an Sonn- und Festtagen fromme Laien, Männer, Frauen und Ordensleute, die aus ihren Klöstern vertrieben worden waren, um wenigstens geistiger Weise der hl. Messe beizuwohnen, indem sie die Messgebete verrichteten. Selbst solche Versammlungen mussten mit der größten Vorsicht abgehalten werden. Die wenigen Priester, die sich noch im Lande aufhielten, waren umstellt wie ein flüchtiges Wild; dennoch wagten es einige zur Nachtzeit, die hl. Geheimnisse zu feiern und die Sakramente zu spenden. Die vereideten Priester, d. h. die der Regierung willfährigen, ihrer hl. Pflichten vergessenden Priester, genossen natürlich von Seiten der Regierung mehr Freiheit, allein das gläubige Volk mied sie, und fromme Christen, wie die Familie Vianney, nahmen nie an ihrem Gottesdienst teil, sondern zogen es vor, einen weiten Weg zu machen, um der Messe eines treu gebliebenen Priesters beiwohnen zu können.
Als die Gewalt der Verfolgung im Jahre 1794 ein wenig nachgelassen hatte, traten nach und nach einige proscribierte Priester auf, obwohl noch immer mit der größten Vorsicht. Die Pfarrei Écully war der Heimat der Familie Vianney am nächsten gelegen; dort suchten mehrere Welt- und Ordensgeistliche und zwei Schwestern aus dem Orden des hl. Karl Borromäus Obdach und Aufnahme, was ihnen von Seiten der Einwohner gerne gewährt wurde.
Die beiden Schwestern straften alle Verleumdungen, die von den Männern der Revolution in so reichem Maße ausgestreut worden waren, Lügen. Man hatte die Ordensleute und namentlich die Nonnen als Opfer schrecklicher Vorurteile und grässlicher Tyrannei hingestellt, und siehe! Jetzt sind die frommen Schwestern aus den „Banden der Knechtschaft“ erlöst, die Staatsgesetze sichern ihnen ein ruhiges bürgerliches Leben. Was aber tun dieselben? Benutzen sie die ihnen gewordene Freiheit? Keineswegs. Mit unbedeutenden Ausnahmen bleiben alle ihren Gelübden treu und befolgen, so gut sie es vermögen, ihre Ordensregel. Sie sind zwar gezwungen, in der Welt zu leben; allein überall legen sie ein ehrendes Zeugnis für ihren Glauben ab und wirken, wo immer möglich, durch ihr Beispiel und ihre aufopfernde Liebe für die bedrängte Gesellschaft.
Jetzt nachdem diese frommen Priester in Écully eingetroffen waren, vereinigten sich die angesehensten Familien dieser Pfarrei und der umliegenden Ortschaften, um den Gottesdienst zu ermöglichen und für den Unterhalt der Missionare zu sorgen. Die guten Leute unterstützten die Priester auf vielfache Art und Weise und mit den größten Opfern. Nichts wäre ihnen zu schwer gewesen, wenn es sich darum handelte, ihr Verlangen nach dem göttlichen Worte und den heiligen Sakramenten zu stillen. Wie rührend war dann diese Feier, die man an den verborgensten Orten abhalten musste, während allenthalben der Sicherheit halber Wachen aufgestellt waren. Bei dieser Feier betheiligten sich vorzüglich die Frauen, deren Frömmigkeit noch schmerzlicher die Entbehrung der religiösen Feierlichkeiten und der heiligen Sakramente empfunden hatte.
Die Mutter unseres Johannes nahm natürlich an all diesen Festlichkeiten teil und führte öfters auch ihren Sohn dahin. Eines Tages begegnete ihnen einer der Missionäre, dem das bescheidene und fromme Äußere des Knaben auffiel, so daß er nach dessen Alter fragte. „Elf Jahre," war die Antwort. „Seit wann hast du nicht mehr gebeichtet?" „Ich habe noch nie gebeichtet!" „Noch nie!" wiederholte der Priester.
Einige Fragen genügten, um denselben zu überzeugen, dass der Knabe hinlänglich vorbereitet sei, deshalb bestand er darauf, Johannes solle sogleich beichten, was auch geschah. Zugleich bestimmte er die Mutter, den Knaben bei den Großeltern in Écully zu lassen, damit er bessere Gelegenheit habe, dem Kommunion-Unterricht beizuwohnen. Diesen Kommunion-Unterricht erteilten die oben erwähnten Schwestern des hl. Karl [Borromäus]; sie wussten denselben so anziehend zu machen, dass auch Erwachsene gerne zuhörten. Bald erkannten die guten Schwestern die trefflichen Eigenschaften unseres Johannes und stellten ihn seinen Mitschülern als Muster auf.
Nachdem die Schwestern so das Erdreich in den jugendlichen Herzen zubereitet hatten, gingen die Kinder in den Unterricht der Missionare, die bald in diesem, bald in jenem Hause die Kinder um sich versammelten, und zwar gewöhnlich zur Nachtzeit, um dem Verdacht der Republikaner zu entgehen.
Leider weiß man nichts Genaueres über die erste Kommunion des heiligen Pfarrers von Ars. Man glaubt, wie es auch sehr wahrscheinlich ist, dass er dieselbe im Jahre 1799 im Hause des Grafen von Pingeon empfangen habe, und zwar in einer Scheune, vermutlich zur Zeit der Heuernte, da Vianney selbst sich erinnerte, dass der Eingang zur Scheune durch mehrere Karren Heu versteckt gewesen sei. Wenn es uns nun auch nicht gegönnt ist, Einzelheiten über diesen Tag zu geben, so können wir doch sicher annehmen, dass all die Umstände, welche diese heilige Handlung begleiteten, z. B. die Verborgenheit, das Geheimnis, die damit verbundene Gefahr, den feierlichen Eindruck nur erhöhen mussten. Mit welcher Andacht und Herzensreinheit wird Johannes sich dem heiligen Mahle genaht, welch' heilige Entschlüsse wird er an diesem großen Tage gefasst haben!
Johannes kehrte nun wieder zu seinen Eltern zurück; die Anmut, welche ihn schon in der Wiege wie eine Strahlenkrone umgab, lag auf seiner jugendlichen Stirne. Unschuld und Herzensgüte sprachen aus seinen Zügen, und sein ganzes Wesen bekundete die heilige Ruhe eines reinen Herzens. Später sagte er zuweilen: „Als ich jung war, habe ich das Böse nicht gekannt; ich lernte es erst im Beichtstuhl kennen.
Seine Schwester Margaretha sagt: „Unsere Mutter war so sehr von seinem Gehorsam überzeugt, dass sie, wenn sie bei einem von uns auf Schwierigkeiten stieß, nichts Besseres zu tun wusste, als Johannes damit zu beauftragen und ihn uns dann zum Vorbild aufzustellen, indem sie sprach: ‚Nun sehet einmal, beklagt er sich, zögert oder murrt er vielleicht?‘ Selten kam es vor, dass dieses Beispiel uns nicht hingerissen hätte."
Seine Schwester schildert uns noch einen anderen Zug, der uns zeigt, wie eifrig er schon damals seine Pflicht zu erfüllen strebte, und welch' frommes Vertrauen ihn dabei beseelte. Gewöhnlich arbeitete er mit allen Leuten des Hauses gemeinschaftlich auf dem Felde, wo er dann in dem Maße seiner Kräfte sich an der Arbeit beteiligte, ohne dass man besonders auf ihn achtete. Er war dessen zufrieden, und alles ging gut. Als er jedoch eines Tages nur mit seinem älteren Bruder Franz in den Weinberg geschickt wurde, um daselbst zu hacken, gewahrte man bald, dass er hinter seinem Bruder zurückblieb; der Knabe ahnte nicht, dass seine Kräfte natürlich nicht so entwickelt sein konnten wie die seines Bruders. Er wollte diesem nachkommen und strengte sich dermaßen an, dass er zuletzt ganz erschöpft war. Klagend darüber kam er zur Mutter, die dann den älteren Bruder ermahnte, lieber etwas weniger zu tun, damit der Kleine sich nicht so übermäßig anstrenge. Franz seinerseits fand es aber sehr natürlich, dass er, als der Ältere, auch mehr leisten müsse als der kleine Knabe.
Tags darauf erhielt Johannes von einer Ordensschwester eine Muttergottesstatue. Dieses Geschenk kam ihm sehr gelegen, denn er glaubte in demselben eine helfende Kraft bei seiner Arbeit zu finden. Als nun beide Brüder wieder einmal zusammenarbeiteten, steckte Johannes seine Statue zu sich und stellte sie so auf, dass er in seiner Arbeit vorrückend sich ihr näherte. War er bis dahin vorgeschritten, dann raffte er sie schnell auf und setzte sie einige Schritte vorwärts. Unter fortwährenden Anrufungen Marias, ihm bei seiner Arbeit beizustehen, wiederholte er dieses Verfahren bis zur Feierabendstunde. Der Erfolg war derart, dass es diesmal der ältere Bruder war, der sich beklagte. Die Mutter aber, als eine kluge Frau, lächelte nur und schwieg, damit die Eigenliebe nicht befördert werde.
So beschwerlich und anstrengend die Feldarbeit auch war, so hinderte sie den Knaben nicht am Gebet und an der Betrachtung. Stets lebte er in der heiligen Allgegenwart Gottes, und täglich verstand er es besser, in dem Buche der Natur zu lesen, wodurch die Liebe zu dem allgütigen Schöpfer täglich mehr aufflammte in dem Herzen des unschuldigen Kindes, und inniger Dank für die Wohltaten Gottes des Herrn seine ganze Seele erfüllte. Näher fühlte er sich seinem Gott noch seit seiner ersten Kommunion, und er sagte selbst in späteren Jahren: „War ich allein mit meinem Spaten oder meiner Hacke auf dem Felde, so betete ich laut, war ich in Gesellschaft, so betete ich leise."
„Hätte ich doch jetzt," sagte er später, „jetzt, wo ich die Seelen leite, noch so viel Zeit, an meine eigene Seele zu denken, als damals, wo ich den Acker meines Vaters bestellte, wie glücklich wäre ich! Des Mittags war nach dem Essen eine Ruhezeit; ich streckte mich auf den Boden hin, wie die Anderen, tat, als schliefe ich, aber ich betete in vollster Inbrunst des Herzens. O, welch' schöne Zeit!"
Kaum einen Monat vor seime Tod wiederholte er noch: „Wie glücklich war ich, als ich nichts zu besorgen hatte als meinen Esel und meine drei Schafe! In dieser Zeit konnte ich so recht nach Herzenslust beten! Da hatte ich den Kopf nicht so voll."
Schon früh hatte dieses Kind die große Wahrheit erfasst, dass „das Reich Gottes in uns ist", und hatte somit den sicheren Weg zur Erfüllung der Pflicht gefunden. Er hatte erkannt, dass Gott die Herzen wiegt, nicht Taten, dass es nicht sowohl darauf ankommt, was wir tun, sondern wie und warum wir es tun. Er tat viel, wie es in der Nachfolge Christi heißt, weil er viel liebte; er tat viel, weil er das, war er tat, gut vollbrachte.
Wenn er den Tag über sich auch müde gearbeitet hatte, so unterlies er doch nie, abends noch seinen Katechismus zu lernen, in der biblischen Geschichte zu lesen, zu beten und zu betrachten, bis der Schlaf ihn überwältigte
Für alle Zerstreuungen, wie die Jugend sie liebt, hatte er keinen Geschmack; spielen sah man ihn nie. Seine einzige Erholung bestand darin, kleine Figuren und dergleichen aus Ton zu bilden. Hörte er aber, es sei Gelegenheit, eine heilige Messe zu hören, so verließ er sofort diese ihm zusagende Beschäftigung und wohnte dem heiligen Opfer mit rührender Andacht bei. Nachdem er sodann eine kurze Danksagung und ein Gebet zu Maria verrichtet hatte, kehrte er heiter und zufrieden zu seiner Arbeit zurück.
Während seiner Abwesenheit machte man sich wohl den Scherz, seine Arbeitsgeräte zu verstecken; das ließ er sich mit der besten Laune der Welt gefallen. Er untersuchte dann gewöhnlich die Gesichtszüge der Anwesenden, um den Täter zu ergründen; diesem dankte er heiter für die gute Aufbewahrung und versprach ihm, im vorkommenden Fall ein Gleiches zu tun.
Das Andenken an seine Kindheit blieb Vianney stets teuer, und er sagte zuweilen: „Während meiner Jugend bestellte ich den Acker, ich schäme mich dessen keineswegs. Ich sagte dabei oft zu mir selbst: Du musst auch deine Seele bearbeiten, das viele Unkraut daraus entfernen und sie vorbereiten zur Aufnahme des guten Samens, den Gott hineinstreut."
So sprach er demütig von sich, allein in seiner frommen Seele wird wohl nie viel Unkraut gewesen sein.