Johann Baptist Maria von Vianney, Pfarrer von Ars - erstes Buch



Drittes Kapitel: Vianney beginnt seine Studien beim Pfarrer von Ecully



Die in sich selbst erschlaffte Revolution hatte in Napoleon, dem ersten Konsul, ihren Meister gefunden, und dieser hatte die Notwendigkeit erkannt, die Religion wieder einzuführen, wenn Ordnung und Gesetzmäßigkeit in dem unglücklichen Lande hergestellt werden sollten. Demgemäß ließ er die Kirchen wieder öffnen und rief die Priester zurück. Welch' unermeßliche Freude erfüllte jetzt die gläubigen Christen, die so lange die Tröstungen der Religion hatten entbehren müssen! Und welch' reiches Feld bot sich nun den Arbeitern im Weinberge des Herrn! Leider war die Zahl dieser Letzteren nur sehr gering, da eine große Zahl der treu gebliebenen Priester den Tod erlitten hatte. Und doch waren der Anforderungen so viele; es galt, die verirrten Seelen zurückzuführen in den Schafstall der Kirche!

Die Gemeinde Ecully, die sich zur Zeit des Schreckens so treu bewährt hatte, erhielt zum Lohn ihres Edelmutes denselben mutvollen Bekenner, den sie so großmütig geschützt hatte; dieser, namens Karl Balley, nahm denn auch im Februar 1803 von der Pfarrei Ecully Besitz. Die Gemeinde durfte sich glücklich preisen, einen solchen Seelsorger zu bekommen, dessen Frömmigkeit und Tugend, Talente und Edelmut ihm das ungeteilteste Zutrauen von nah und fern erworben hatten.

Sobald er Pfarrer von Écully geworden war, war es sein erster Gedanke, angesichts des großen Priestermangels eine Hilfsschule für die Knabenseminare der Diözese zu gründen. Diesen Plan führte er auch aus, indem er Knaben um sich sammelte, sie unterrichtete und erzog und zu ergründen suchte, ob sie keinen Beruf zum Priesterstand bekundeten. Er war es denn auch, der zuerst die Bestimmung des jungen Vianney erkannte und ihn unter die Zahl seiner Schüler aufnahm.

Die Familie Vianney war hoch erfreut über die glückliche Wendung der Dinge; aber niemand genoss indessen die Wonne in dem Grade wie unser Johannes. Er war nun fast immer in Écully, kein Fest wurde daselbst gefeiert, ohne dass er dabei war. Die nicht geringe Entfernung konnte dem Eifer des Knaben keinen Einhalt tun.

Bald entspann sich ein engeres Verhältnis zwischen dem Pfarrer und unserem Johannes. Der Anblick des seeleneifrigen Pfarrers machte einen großen Eindruck auf sein frommes Gemüt; er suchte ihn zu sprechen, und gleich die erste Unterredung mit demselben erweckte in ihm den Wunsch, der schon lange in seiner Brust geschlummert hatte.

Trotz seines jungen Alters hatte Johannes die traurige Lage seines Vaterlandes und die schweren Wunden, die der heiligen Kirche geschlagen worden waren, bereits erfasst. Durch den Umgang mit dem kampferprobten Pfarrer erkannte er immer deutlicher die Erhabenheit der priesterlichen Berufung. In ihm entbrannte das starke Verlangen, sich mit Leib und Seele für die bedrängte Kirche zu opfern. Mit jedem Tag wurde ihm klarer, dass Gott ihn zum Priester berufen hatte.

Trotz seiner Jugend hatte er doch schon die traurige Lage seines Vaterlandes und die tiefen, der heil. Kirche geschlagenen Wunden erfasst, und durch den Umgang des im Kampf grau gewordenen Mannes erkannte er nun immer deutlicher die Hoheit der priesterlichen Würde. Er fühlte das heiße Verlangen, sich mit Leib und Seele der bedrängten Kirche zu opfern; dabei wurde es ihm täglich klarer, dass Gott ihn zum Priester bestimmt habe. Wenn nun auch seine Demut einerseits vor dem großen, schweren Amte erschrak, so sah er, dass die Kirche neuer Apostel bedürfe. Sein kindliches Gottvertrauen ermutigte ihn, und er vertraute auf den Beistand des Allmächtigen, ohne den wir ja nichts vermögen. Der Gedanke, sich dem Dienste des Herrn zu weihen, war am Tage der ersten heil. Kommunion ihm zum ersten Male gekommen. Damals schon hatte er denn auch mit seinen Eltern darüber gesprochen; allein die Zeitlage war nicht geeignet, diesen Gedanken näher zu erörtern, deshalb hatte man ihn auf spätere Zeiten vertröstet.

Jetzt war ein Wendepunkt eingetreten, und wie wir soeben gesehen haben, hatte Vianney diesen dazu genutzt, um mit sich ins Reine zu kommen. An Pfarrer Balley hatte er einen sicheren und treuen Führer gewonnen. „Sei ruhig, mein Sohn“, sagte dieser zu dem jungen Vianney, um ihn zu ermutigen, „alle Opfer, die in meiner Macht stehen, werde ich für dich bringen.“

Mehr bedurfte es nicht, um die Einwilligung der Eltern zu erlangen; in wenigen Tagen waren alle Vorkehrungen getroffen, und unser Johannes war in Écully bei Verwandten untergebracht. Die Bewohner von Dardilly, seines heimatlichen Dorfes, achteten und liebten den frommen Jüngling so sehr, dass sie gerne alle zu seinem Unterhalt beigetragen hätten, wenn sie nicht gefürchtet hätten, seine Eltern dadurch zu demütigen. Eine fromme Witwe aus Écully ließ es sich indessen nicht nehmen, wenigstens für seine Wäsche und den Unterhalt seiner Kleidung zu sorgen, um so Gelegenheit zu haben, ihn öfter zu sehen.

In dem Haus, in dem seine Eltern ihn untergebracht hatten, stieß er auf nichts, sah und hörte er nichts, was seiner Tugend hätte schaden können; er war dort so sicher geborgen wie im Elternhaus.

Der junge Vianney begann also seine Studien, für die er jedoch nur wenig Talent zeigte, was einerseits eine Folge der mangelhaften Schulbildung in seinen Knabenjahren war und andererseits daran lag, dass er seine Studien zu spät begonnen hatte. Im Latein lernte er zum Beispiel gerade so viel, dass er mit Mühe sein Brevier verstand. Sein hervorragender Lehrer jedoch, der in ihm ein Kind der Gnade erkannte, ließ sich davon nicht abschrecken. Es stimmt, der Pfarrer von Ars besaß nie viel Wissenschaft; aber es gibt eine andere Art von Wissen, die der heilige Thomas von Kempen als „eine tiefe Wissenschaft, eine große Vollkommenheit“ beschreibt, nämlich: „die Kenntnis und Verachtung seiner selbst“. Diese Wissenschaft hatte er in der Schule Christi gelernt. Er war sanftmütig und demütig, wie sein göttlicher Meister es verlangte, und bereit, alle Mühsal und Beschwerde seines Lebens am Fuße des Kreuzes unseres Heilandes niederzulegen. Auch die Apostel wussten nicht viel; sie waren ungelehrte Menschen. Dennoch erwählte sie der Herr zu Verkündern seines Evangeliums. Die Geschichte lehrt uns, dass Gott sich oft der Schwachen und Kleinen bedient, um durch sie Großes zu bewirken.

Es scheint, Gott habe seinen Diener vor jeglicher Versuchung zu eitler Ruhmsucht schützen wollen, denn Vianney hatte mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Seine Auffassungsgabe und sein Gedächtnis waren sehr schwach, sodass er nur langsam vorankam, was ihn oft in einen trostlosen Zustand versetzte. Sein eifriger Lehrer aber tröstete und ermutigte ihn. Wenn Vianney gelegentlich unter dieser Last niedergedrückt war, erlaubte ihm der kluge Lehrer keinen Besuch bei den Eltern, weil er mit Recht befürchtete, diese könnten glauben, alle Mühe und alle Opfer seien vergeblich, und ihn dazu drängen, zu Hause zu bleiben.

„Warum willst du nach Hause gehen?“, sagte er in sanftem Ton zu ihm. „Wenn deine Eltern dich jetzt zu Hause behalten, ist es aus mit unseren Plänen. Das Priestertum und die Arbeit am Heil der Seelen sind dann für dich verloren!“ Diese Worte gaben dem jungen Mann neue Willenskraft. Sie verdoppelten seinen Fleiß und seine Anstrengungen, und Gott ließ sein Bemühen nicht unbelohnt.

Die Vorsteherin des Waisenhauses in Ars schrieb in ihr Tagebuch einen Zug Vianney’s auf, wie man ihn oft im Leben der Heiligen findet. Angesichts der sich ihm bietenden großen Schwierigkeiten machte er das Gelübde, zum Grabe des hl. Franziskus Regis zu Fuß zu pilgern und dort den Heiligen um seine Fürbitte anzurufen, damit er soviel lernen könne, um ein treuer Diener im Weinberge des Herrn zu werden. Er führte sein Vorhaben aus und zwar trotz vieler Unbilden, die er unterwegs zu ertragen hatte; nicht selten wurde ihm eine Nachtherberge versagt, da man ihm wohl ansah, dass er kein gewöhnlicher Bettler sei, und ihn für einen Dieb hielt. Gott lohnte den Eifer seines Dieners; der heil. Franziskus erlangte ihm durch seine Fürbitte die ersehnte Gnade; die übermäßigen Schwierigkeiten waren wie verschwunden, und im Vergleich mit früher machte er nun Fortschritte, die seinen Lehrer und alle, die Teilnahme für ihn hatten, in Erstaunen setzten. Mehr als 50 Jahre später erwähnte der Pfarrer von Ars noch einmal diese Pilgerreise, bei Gelegenheit eines Almosens, das er selbst einem Pilger reichte. „Geben ist seliger als nehmen“, sagte er. „Einmal in meinem Leben habe ich gebettelt, als ich nämlich zum Grabe des heil. Franz Regis pilgerte, aber da ging’s mir nicht zum Besten. Man hielt mich für einen Dieb und wollte mir weder Brot noch Obdach geben.“

Die Studienzeit Vianneys bietet noch einige Züge, die wir nicht unerwähnt lassen können. Sobald er im Hause seiner Verwandten von seinem Zimmer Besizt genommen hatte, besprach er sich mit seiner Nichte Margaretha über allerlei, was seine Lebensweise betraf. Er bat sie, ihm die Suppe ohne Gewürz, ohne Butter und Schmalz zu geben. Entsprach man seinen Wünschen, so aß er sie mit Freuden; war aber durch Unvorsichtigkeit oder zuweilen auch mit Absicht die Suppe besser gekocht, so war er mißvergnügt darüber und aß sie mit Widerwillen.

Die Liebe zu den Armen, die sich, wie wir gesehen, so tatkräftig bei dem Knaben erwiesen, übte er auch jetzt noch; der Anblick eines Unglücklichen erschütterte ihn tief; den Obdachlosen besorgte er eine Herberge und als er eines Tages einen Armen traf, der barfuß war, zog er seine neuen Schuhe aus und gab sie ihm, was ihm jedoch Vorwürfe von Seiten seines Vaters eintrug, da dieser die Handlungsweise seines Sohnes nicht billigte.

Johannes verstand es zuweilen auch, guten Rat zu erteilen. Einer seiner Vettern, angeregt durch den Brief eines Freundes, der im Kloster war, kam auf den Gedanken, das Glück seines Freundes zu teilen; aber er schwankte angesichts seiner schwachen, hochbetagten Eltern, deren Stüzte er war. Zwar wollten seine Eltern sich seinem Berufe, wenn Gott es so verlange, nicht widersetzen; dennoch rieten sie ihrem Sohne, Vianney um Rat zu fragen. Dieser las den Brief und erwiederte ohne Zögern:„Bleibe du, mein Freund, wo du bist, deine Eltern können dich nicht entbehren. Sie zu unterstützen, ihnen beizustehen, ihnen die Augen zuzudrücken, das ist dein Beruf."

Der Himmel hatte ihm glänzende Talente versagt; allein schon damals zeigte sich bei ihm dieser richtige und feste Blick, der ihn später in so hohem Grade auszeichnete und ihm die Gläubigen in Menge zuführte.