Johann Baptist Maria von Vianney, Pfarrer von Ars - drittes Buch. Vianneys heroisches Leben. Von der Gründung der Providence bis zu deren Auflösung. 1825-1847.



Drittes Kapitel: Vianney ist ein Ziel des Widerspruchs.



Die Tugend und die christliche Vollkommenheit muß, wenn sie wahr und echt und von allen Schlacken der verdorbenen Natur gereinigt sein soll, durch Leiden und Trübsale geläutert werden, wie das Gold erst dann seinen rechten Glanz erhält, wenn es durch das Feuer gereinigt worden. Daher finden wir denn auch, daß alle Heilige auf dem Leidenswege gewandelt sind, daß sie leibliche und geistige Leiden jeglicher Art erduldet haben. Das Leiden, das unserm guten Pfarrer auferlegt wurde, bestand in der Verkennung, die ihm nicht nur von Seiten der Welt, sondern sogar von dem Clerus zuteil wurde; man verleumdete, verspottete und verhöhnte ihn, nannte ihn einen Heuchler und Lügner; und begegnete ihm mit Mißtrauen. Manche seiner Amtsbrüder mögen vielleicht eifersüchtig auf ihn gewesen sein. Der, dessen Geistesgaben man bis jetzt gering geachtet hatte, genoß auf einmal eines weit verbreiteten Rufes, dessen kein Anderer sich rühmen konnte. Andere, Bessergesinnte, konnten an die Wunder, die in Ars geschahen, nicht glauben und sahen darin nur Lug und Trug; wieder Andere waren irregeleitet durch falsche Berichte, die von Leuten ausgingen, deren Frömmigkeit eine verkehrte war. Die Anzahl derselben ist leider nicht gering, und namentlich fanden sie sich zahlreich in Ars ein, und umlagerten den Beichtstuhl des Pfarrers. Nicht Seeleneifer und Andacht hatte sie nach Ars geführt, sondern nur Neugierde und Vorwitz. Kehrten sie dann nach Hause zurück, so begannen sie über den Pfarrer zu reden, aber nicht der Wahrheit gemäß, sondern nach ihren Einbildungen oder nach ihren beschränkten Ansichten. Ihren gewöhnlichen Seelenführern gegenüber bewiesen sie eine noch größere Widersehlichkeit als früher und beriefen sich auf die Worte, die sie dem Pfarrer von Ars in den Mund legten.

So kam es, daß selbst ausgezeichnete Männer Partei gegen ihn nahmen, und daß sie, wenn auch nicht seine Offenheit, Geradheit und gute Absicht bezweifelten, dennoch seinen Eifer nicht zeitgemäß fanden und die Klugheit seiner Leitung und die Weisheit seiner Rathschläge in Zweifel zogen.

Es fanden sich sogar einige Pfarrer, die ihren Pfarr= kindern unter der Strafe, nicht absolviert zu werden, verboten, nach Ars zu gehen; Andere eiferten von der Kanzel herab gegen die immer häufiger werdenden Mißbräuche, wie sie die Pilgerfahrten nach Ars nannten.

In späteren Zeiten sagte Vianney mit milder Ironie eines Tages: „Man ließ in jener Zeit das Evangelium auf den Kanzeln ruhen, und statt dessen predigte man über den armen Pfarrer von Ars.“

Als seine Hilfspriester ihn einmal fragten, ob ihn die damaligen Widersprüche nicht gebeugt hätten, rief er mit himmlischem Ausdruck aus: „Das Kreuz sollte den Frieden rauben?! Das Kreuz ist’s ja gerade, das der Welt den Frieden gebracht, das ihn unsern Herzen geben muß. Alle unsere Erbärmlichkeiten kommen nur daher, daß wir dieses Kreuz nicht lieben. Eben die Furcht vor Kreuzen vermehrt die Kreuze. Ein Kreuz, kindlich einfältig getragen und ohne das Widerstreben der Eigenliebe, das die Schmerzen nur erhöht, ist kein Kreuz mehr. Ein geduldiges Leiden ist kein Leiden mehr. Wir beklagen uns zu leiden?! Wir hätten bei Weitem mehr Grund uns zu beklagen, nicht zu leiden, weil uns nichts dem Heilande ähnlicher macht, als sein Kreuz zu tragen.

Schöne Vereinigung der Seele mit dem Erlöser Jesus Christus durch die Liebe und die Kraft seines Kreuzes! Ich begreife nicht, wie ein Christ das Kreuz nicht lieben, sondern es fliehen kann. Heißt das nicht den fliehen, der für uns hat ans Kreuz geheftet werden und sterben wollen?“

„Widersprüche werfen uns an den Fuß des Kreuzes, und das Kreuz ist die Pforte des Himmels. Um dahin zu kommen, ist es nöthig, daß man uns unter die Füße tritt, daß man uns geringfügig behandele, verachte, zu Staub zermalme... Glückselig sind in dieser Welt nur die, welche inmitten der Leiden die Ruhe der Seele besitzen; sie verkosten die Freude der Kinder Gottes. Alle Leiden sind süß, wenn man leidet in Vereinigung mit dem göttlichen Erlöser. Leiden! was thut das? Es ist ja nur ein Augenblick. – Das Kreuz ist die Gnade, die Gott seinen Freunden verleiht.“

„Widersprüche werfen uns an den Fuß des Kreuzes, und das Kreuz ist die Pforte des Himmels. Um dahin zu kommen, ist es nöthig, daß man uns unter die Füße tritt, daß man uns geringfügig behandele, verachte, zu Staub zermalme... Glückselig sind in dieser Welt nur die, welche inmitten der Leiden die Ruhe der Seele be= sitzen; sie verkosten die Freude der Kinder Gottes. Alle Leiden sind süß, wenn man leidet in Vereinigung mit dem göttlichen Erlöser. Leiden! was thut das? Es ist ja nur ein Augenblick. – Das Kreuz ist die Gnade, die Gott seinen Freunden verleiht.“

Wer solche Gesinnungen hegt, der vermag allerdings im Sturme ruhig zu bleiben, wie Vianney es bewiesen bei den Verfolgungen, deren Zielscheibe er geworden war. Die Welt rät ihren Anhängern kalten Gleichmut im Leiden an; die Gnade aber erhebt den Leidenden zu heiliger Freude, wie wir an allen heiligen Märtyrern und Bekennern sehen.

Auch noch von einem andern Gesichtspunkte aus er= schienen ihm die Leiden kostbar. Er, der sich selbst für so schwach und erbärmlich hielt, konnte nicht begreifen, wie er ein Gegenstand der Volksbewunderung geworden; allen Ernstes fürchtete er, ein Heuchler zu sein. Wie freute ihn daher die Wahrnehmung, daß es doch noch Leute gab, die ihn, wie er in seiner Demut glaubte, richtig beurteilten. Dies war ihm voller Ernst; denn seine Demuth zeigte ihm, daß er aus sich nichts sei, und Alles nur seinem Gott zu danken habe.

So äußerte er sich über eine Person, die ihm das Leben sehr sauer machte: „Wie bin ich dieser Person zum Danke verpflichtet! Ohne sie hätte ich nicht gewußt, wie wenig ich Gott liebe!“

Eines Tages bekam er von einem seiner Mitbrüder einen Brief, in dem es hieß: „Wer so wenig in der Theologie bewandert ist, wie Sie, Herr Pfarrer, der sollte nie in den Beichtstuhl gehen.“ Was tat nun Vianney? Er, der kaum Zeit fand, die zahlreichen, ihm täglich zugehenden Briefe zu lesen, hielt es für dringend, diesen zu beantworten, um seinem Mitbruder dafür zu danken, daß er ihn richtig beurteilt, ihn seiner Liebe zu versichern und ihn um sein Gebet zu bitten, damit Gott ihn dieser Stelle enthebe und er sich seinem Wunsche gemäß in einen stillen Winkel zurückziehen könne, um sein armes Leben zu beweinen. Welche staunenswerte, tiefe Demut spricht sich in diesen Zeilen aus!

Bei Gelegenheit einer Versammlung von Geistlichen wurde nach reiflicher Besprechung der vermeintlichen Fehler und Schwächen Vianneys der Entschluss gefasst, dem neuernannten Bischof der Diözese von den eigenthümlichen Unternehmungen und dem unzeitigen Eifer eines seiner Pfarrer, der seiner Unwissenheit gemäß ein zurückhaltenderes Benehmen zeigen sollte, in Kenntnis zu setzen. Einer dieser Pfarrer ging sogar so weit, dem Pfarrer von Ars diesen Entschluss in einem mit Klagen und Anschuldigungen angefüllten Briefe mitzuteilen.

Vianney, der in seiner Demuth meinte, eine solche Strenge verdient zu haben, erwartete täglich, von seiner Pfarrei verwiesen, suspendiert und exkommuniziert zu werden und seine Tage in einem Gefängnisse beschließen zu müssen.

Was sollte nun der Bischof angesichts dieser wiederholten Denuntiationen tun?

Der neuernannte Bischof von Belley, Monseigneur Devie, war ein zweiter Franz von Sales. Er zeichnete sich durch Herzensgüte und feinen Takt aus; dabei besaß er viel Menschenkenntnis und verband damit die Gabe, die Menschen zu leiten. Musste man auch mit Zurechtweisungen von ihm gehen, so war man doch zufrieden, da er alle mit Liebe und zarter Schonung behandelte. Durch seinen unermüdlichen Eifer und seine herrlichen Hirtenbriefe belebte er seine ganze Diözese. Bei einem solchen Manne fanden also nicht leicht Verdächtigungen und Anschuldigungen Eingang, sondern er untersuchte alles selbst. Was nun den Pfarrer von Ars betraf, so hatte er ihn zwar noch selten gesehen; aber schon liebte er ihn und hatte seine Einfalt, Abtötung und Armut erkannt. Er begriff das vollkommene Leben und die Tugenden unseres Pfarrers, da er selbst innig mit Gott vereint war und ein heiliger Eifer ihn beseelte. Darum liebte er Vianneys Frömmigkeit und hielt sie keineswegs für übertrieben. So sprach er sich für ihn aus; ja, in einer zahlreichen Versammlung seines Clerus sprach er: „Ich wünsche Ihnen, meine Herren, ein Weniges von dieser Thorheit, über die Sie sich lustig machen. Sie würde Ihrer Weisheit nicht schaden.“

Ein anderes Mal sprach er wieder mit tiefster Verehrung von dem Pfarrer von Ars und schloss mit den scharf betonten Worten: „Ja, meine Herren, er ist ein Heiliger; ein Heiliger, den wir bewundern müssen, den wir zum Vorbild nehmen sollten.“

Es erübrigte nun dem Bischofe noch, die Frage in Betreff seiner Kenntnisse zu entscheiden. Demgemäß sandte er einige Domherren nach Ars, die beauftragt waren, sein Wirken zu beobachten und Fragen an ihn zu stellen. Zu demütig, sein Verfahren zu rechtfertigen, begnügte er sich, ihnen klar und einfach alles auseinander zu setzen, indem er sie zugleich bat, doch dahin zu wirken, dass er abdanken dürfe, da er nicht imstande sei, das ihm verliehene Amt würdig zu versehen.

Später forderte ihn der Bischof auf, schwierige Fälle, auf die er in seiner Praxis stoßen würde, ihm nebst seiner Entscheidung vorzulegen, und der Bischof erklärte, dass Vianney mehr als zweihundert Fälle ihm unterbreitet habe und die Entscheidungen mit Ausnahme von zwei Fällen, wo der Bischof anderer Meinung gewesen, vollkommen richtig gewesen seien. Als man daher einst in Gegenwart des Bischofs von der geringen Gelehrsamkeit des Pfarrers von Ars sprach, erwiderte er: „Ich weiß nicht, ob er gelehrt ist; aber das weiß ich, dass er erleuchtet ist.“

Wir sehen also, dass Bischof Devie keineswegs die Vorurteile teilte, die man gegen unseren Pfarrer hegte, sondern ihn liebte und schätzte; dennoch tat er nichts, um Vianneys frommen Eifer zu fördern; ja, ohne es vielleicht selbst zu wollen, war er ihm zuweilen hinderlich, gewiss nicht ohne Zulassung Gottes, der zeigen wollte, dass diese Pilgerfahrten sein Werk seien.

Vianney fuhr indessen fort, alle Streiche, die man gegen ihn führte, Schimpf und Schmach mit Sanftmut zu ertragen; zugleich setzte er seine Unternehmungen mit unerschütterlicher Festigkeit fort. Mochten seine Erfahrungen auch bitter sein, er nahm alles aus der Hand Gottes an.

Doch bald sollten seine Prüfungen noch härter und schwerer werden; waren es bis jetzt tugendhafte, aber irregeleitete Seelen gewesen, die ihn tadelten, so mischte sich nun die Welt mit ihrem Hasse gegen alles, was gut und heilig ist, hinzu. Viele Personen, deren Sündenruhe er störte, deren Laster er geißelte und deren Heuchelei er aufdeckte, oder deren Mitschuldige er auf bessere Bahnen lenkte, beobachteten ihn mit Argusblicken und waren immer bereit, seine Worte und Handlungen auszubeuten, um darin Material zu irgendeiner Anklage zu finden. Der Bosheit gelingt es meistens, Worte zu verdrehen; denn sie scheut weder Lug noch Trug und huldigt häufig dem Grundsatz: Nur tapfer gelogen, es bleibt doch etwas hängen. Man ging so weit, die Reinheit seiner Sitten zu verdächtigen, und schrieb ihm anonyme Briefe voll der schmählichsten Schändlichkeiten.

Was tat Vianney diesen Verleumdungen gegenüber? Er schwieg und duldete, ließ sich in seinem Eifer nicht stören und erwiderte jenen, die aufgebracht waren über die Ruchlosigkeit, ihm ein schlechtes Leben vorzuwerfen: „Ach! mein Leben war immer schlecht, ich habe nie etwas getaugt. Es schmerzt mich freilich, wenn man den lieben Gott beleidigt; aber auf der anderen Seite freue ich mich doch im Herrn über alles, was er zulässt; denn die Verfluchungen der Welt sind Segenssprüche Gottes.“

Zu einem Pfarrer, der gleichfalls fortwährend der Gegenstand der Verleumdung und Verfolgung war, sprach er: „Mein Freund, tun Sie wie ich; lassen Sie sagen, was man will. Sobald man alles gesagt hat, gibt’s nichts mehr zu sagen, und man wird schweigen.“

Vielleicht könnte einer unserer Leser versucht sein zu glauben, Vianney habe bei seinem unvergleichlichen Lebenswandel in den verschiedenen Beziehungen, in denen er mit so vielen Personen als Seelenführer stand, unbewusst Veranlassung zu dergleichen Beschuldigungen gegeben, indem er die Verdorbenheit der Welt nicht genug gekannt und in aller Einfalt und Unschuld einen Verstoß gegen die gute Sitte begangen habe. Doch das wäre eine große Täuschung! Er wusste gar wohl, dass eine zu große Freundlichkeit und Vertraulichkeit sich für einen Seelenführer nicht gezieme und für das Seelenheil nicht förderlich sei, sondern im Gegenteil nur zu leicht störend einwirken könne. So haben wir z.B. gesehen, dass er mit Frl. Pignaut, die vielleicht unter all seinen Beichtkindern die größte Anhänglichkeit für ihn hatte, sehr streng, man möchte sagen abstoßend war; er führte sie harte Wege und ließ keine Gelegenheit vorübergehen, um sie in der Selbstverleugnung zu üben. Seine Beziehungen zu seinen Beichtkindern waren stets vom Geiste des Glaubens und des Opfers beseelt; er suchte nichts als nur die Ehre Gottes und das Heil der Seelen und verzichtete auf allen Trost und jede Selbstbefriedigung.

Noch müssen wir bemerken, dass alle Verleumdungen, die man gegen Vianney erhob, immer nur hinter seinem Rücken oder wenigstens aus der Ferne ausgesprochen wurden. Ihm gegenüber wagte niemand diese Anschuldigungen aufrecht zu halten. Sein klarer Blick, sein heiteres Antlitz machte alle verstummen, und vielen genügte es, ihn zu sehen, um das Vorurteil gegen ihn zu zerstreuen. Der Clerus insbesondere fiel ihm bald zu; er erkannte seinen Irrtum und blickte mit Bewunderung auf ihn, der diese jahrelangen Prüfungen mit stets gleicher Geduld und Ergebung ohne die geringste Bitterkeit ertrug.

So ging auch diese Prüfung allmählich vorüber; Gott, der dadurch das Absterben des Menschen für das eigene Ich erzielen will, endet die Prüfung, sobald die Seele diesen glücklichen Zustand erreicht hat.