Johann Baptist Maria von Vianney, Pfarrer von Ars - erstes Buch
Viertes Kapitel: Der junge Vianney wird durch den Militärdienst aus seinen Studien gerissen. Sein Aufenthalt in den Bergen von Forey.
Die Befürchtungen, welche den jungen Vianney wegen Mangels natürlicher Anlagen beunruhigt hatten, waren, wie wir soeben gesehen haben, größtenteils verschwunden; dafür aber kamen andere Prüfungen, wie Gott sie vorzugsweise seinen Auserwählten sendet, um ihre Liebe zu entflammen und ihre Standhaftigkeit zu erhöhen. Aus der Prüfung geht die Seele geläutert hervor wie das Gold aus dem Schmelztiegel.
Als Vianney in das Alter kam, in dem er zur Konskription einberufen werden sollte, drang der Pfarrer Balley darauf, dass sein Zögling sich nach Lyon begebe, um sich dort in die Aspirantenliste für den geistlichen Stand aufnehmen zu lassen. Dadurch wäre er nach den Staatsgesetzen vom Militärdienst frei geworden; aber Gott ließ es zu, dass er in den Verzeichnissen vergessen wurde.
Drei Jahre verstrichen, ohne dass er eine Aufforderung erhielt, und so schien alles in bester Ordnung. Eben sollte er zum Studium der Philosophie zugelassen werden, da erst entdeckte man, dass sein Name in keiner Liste aufgeführt war. Und so erhielt Vianney eines Tages im Oktober 1809 den Befehl, nach Bayonne zu marschieren.
So bedauernswert dieses Ereignis nun auch war, so muss man dennoch das göttliche Walten darin erkennen, dass dieser Irrtum erst jetzt und nicht schon früher entdeckt wurde, denn sonst hätte er an mehreren Feldzügen teilnehmen müssen, während jetzt gerade Friede war.
So musste denn Johannes einrücken; allein trotz der Gewalt, die er sich antat, um seine widerstrebenden Gefühle zu unterdrücken, erlag er der Aufregung und wurde krank, sodass er sich nicht rechtzeitig stellen konnte. Die Polizei schlug daher vor, ihn nach Lyon in das Militärlazarett zu bringen, wohin er denn auch zum größten Leidwesen der Seinigen am 28. Oktober 1809 abgeführt wurde. Seine Verwandten, die ihn dort besuchen konnten, erbauten sich alle an seiner Geduld.
Nach Verlauf von vierzehn Tagen der Ruhe und ärztlicher Behandlung glaubte man ihn stark genug, die Reise zu seinem künftigen Garnisonsort fortzusetzen; allein noch hatte er die Hälfte des Weges nicht zurückgelegt, als er einen neuen Fieberanfall bekam, sodass er in Roanne abermals ins Lazarett gebracht werden musste. Kaum dort angekommen, benutzte er die erste Stunde, in der sein Zustand es ermöglichte, um seinen Eltern Nachricht von sich zu geben. Auf diesen Brief hin wären alle gerne zu ihm geeilt; für diesmal fiel das Los seinem ältesten Bruder Franz zu, der ihn ruhig, zufrieden und ergeben in seiner Lage fand. Da der Kranke indessen sechs Wochen dortselbst blieb, erhielt er nach und nach Besuche von allen Verwandten und Bekannten.
Diese wiederholten Besuche, verbunden mit den Beweisen der Achtung und Verehrung, die alle ihm zollten, erregten die Aufmerksamkeit der Augustinerinnen, denen die Pflege der Kranken anvertraut war. Ihre Teilnahme steigerte sich noch durch die Erzählungen der Verwandten und Bekannten unseres Johannes und hatte zur Folge, dass die guten Schwestern ihre Sorgfalt und Pflege noch verdoppelten, wodurch seine Genesung nicht wenig beschleunigt wurde.
Am 6. Januar sollte er abmarschieren, um sich einer nach Spanien bestimmten Abteilung anzuschließen; er aber verspätete sich und holte sein Marschbillett nicht zur bestimmten Stunde, was ihm viele Unannehmlichkeiten zuzog. Der kommandierende Hauptmann drohte bereits, ihn geschlossen nach Bayonne abzuführen; andere Beamte sprachen zu seinen Gunsten. Schließlich erhielt er sein Billett und marschierte ab, ohne an Flucht zu denken, obwohl er eine Ahnung hatte, dass er sein Korps nicht sehen werde. So wandelte er denn still und traurig dahin, voll heißen Verlangens nach dem Priestertum; jede andere Laufbahn schien ihm unerträglich.
Um seine trüben Gedanken zu zerstreuen, nahm er seine Zuflucht zum Gebet; er betete voller Andachtsglut seinen Rosenkranz, indem er Maria gelobte, ihr immer treu zu bleiben.
Wir sind jetzt in unserer Erzählung zu einem Ereignis gelangt, bei dem wir uns jedes Urteils enthalten. Viele werden darin eine gesetzwidrige Handlung sehen, was sie im gewöhnlichen Leben auch ist; aber die Taten eines so außergewöhnlichen Lebens, wie es das des jungen Vianney war, dürfen nicht nach dem gewöhnlichen Maßstab bemessen werden. Der fromme, gläubige Christ wird hier die Hand Gottes erkennen, der seinen Diener zu Größerem berufen hatte, wie der Verlauf unserer Erzählung beweisen wird.
Als Vianney betend auf der Landstraße weiterwanderte, gesellte sich ein Unbekannter zu ihm, der sich erkundigte, wohin er gehe und warum er so traurig sei. Johannes erzählte ihm seine Geschichte, worauf der Unbekannte sagte, er solle ihm nur folgen. Zugleich nahm er den schweren Reisesack des noch von der ausgestandenen Krankheit Geschwächten auf den Rücken, verließ die Landstraße und bog feldeinwärts. Johannes folgte seinem Führer unbesorgt, nur vor allenfalls auf sie stoßende Gendarmen sich fürchtend.
So wanderten sie fort bis abends 10 Uhr; die Gegend wurde immer stiller und einsamer, und Johannes war so erschöpft, dass er kaum mehr zu folgen vermochte. Da hielt endlich der Unbekannte vor einem ganz einsam gelegenen Hause, klopfte an dasselbe, und als die Einwohner, ein Mann und eine Frau, sich nach dem Begehren der Wanderer erkundigten, veränderte der Unbekannte seine Stimme, bat um Einlass für Vianney und verschwand. Vianney hat nach der Bestätigung all derer, die mit ihm verkehrten, nie mehr etwas von diesem Manne gehört.
Die beiden guten Leute nahmen indessen den ihnen wie vom Himmel gesandten Gast freundlich auf, gaben ihm zu essen und überließen ihm, so sehr Vianney sich auch dagegen sträubte, das einzige Bett des Hauses, während sie sich aufs Heu legten. Es war ein junges Ehepaar, das sich seinen Lebensunterhalt mit Handarbeit verdiente; der Mann war Holzschuhmacher. Da er somit selbst arm war, sagte er seinem Gaste andern Tags, er könne ihn nicht behalten, wolle ihn aber an einen Ort bringen, wo er vollkommen sicher sein werde. Johannes war es zufrieden und bat nur immer, ihn nicht den Gendarmen auszuliefern. Das Haus des Holzschuhmachers lag nicht weit von dem Dorfe Les Noës, auf der Grenze des Loire- und Allier-Departements. Dort wurde er zu dem Bürgermeister des Ortes geführt, der ihn liebevoll aufnahm, ihn versicherte, er habe nichts zu fürchten, und ihm versprach, für ein Unterkommen zu sorgen.
Er hielt Wort und brachte Vianney zu einer Witwe, Mutter von vier Kindern. Später sprach der Pfarrer von Ars oft von ihr und pflegte dann zu sagen: „Ich habe viele heilige Personen in meinem Leben angetroffen; aber Pfarrer Balley und Mutter Fayot – so hieß die Witwe – waren doch die herrlichsten Seelen, die ich je gesehen habe.“
Der Bürgermeister hatte sich in seiner Erwartung nicht getäuscht; Mutter Fayot nahm unseren Johannes auf wie ein längst erwartetes Kind. Der Bürgermeister übergab ihn also den Händen der Witwe und verabschiedete sich sodann mit der beruhigenden Versicherung, dass er hier vollkommen sicher sei und ihn überdies nach Kräften beschützen werde. Um aber den Flüchtling noch sicherer zu stellen, riet er ihm, einen anderen Namen anzunehmen, und so nannte man ihn denn Jérôme. Aus den späteren Erzählungen Vianneys sehen wir, wie groß die Sorgfalt der Frau Fayot für ihren Pflegesohn war; sie hatte bemerkt, dass er wenig aß, daher stand sie öfter des Nachts auf, um zu sehen, ob er schlief und sich wohlbefand.
Das dankbare Herz Vianneys hätte sich so gerne erkenntlich für alle ihm bewiesene Güte gezeigt; er dachte oft darüber nach, da fiel ihm denn ein, dem Bürgermeister vorzuschlagen, Schule zu halten. Dieses Anerbieten wurde freudig aufgenommen, und Vianney sammelte nun die Dorfjugend um sich und unterrichtete sie mit einer Geduld und Aufopferung, die ihm die allgemeine Liebe und Achtung erwarb.
Johann Fayot, der älteste Sohn der Witwe, erzählte selbst, dass er in den ersten Tagen der Schlafkamerad Vianneys gewesen sei; so oft er nun des Nachts wachgeworden sei, habe er ihn beten hören. Der Pfarrer des Dorfes war streng in Betreff der häufigen Kommunion; allein unserem Vianney gestattete er dennoch, mehrmals in der Woche zu kommunizieren, weil er seine Andacht, seine Pflichttreue und Bescheidenheit kannte.
Als der Frühling zurückkehrte, musste er die Schule unterbrechen; da ihm aber jede Arbeit gleich war, half er bei den Feldarbeiten. Um hier allen sich gefällig zu zeigen, strengte er sich übermäßig an, so dass er zuletzt vierzehn Tage das Bett hüten musste.
Die Bevölkerung des Dorfes ließ es sich angelegen sein, Vianney vor jeder ihm drohenden Gefahr zu schützen; sobald man daher Gensdarmen gewahrte, wurde er durch ein verabredetes Zeichen davon in Kenntnis gesetzt. Bei einer solchen Gelegenheit war es, dass er sich auf dem Heuboden oberhalb des Stalles versteckte. Dort war die Atmosphäre so verdorben und die Luft so drückend, dass er bewusstlos wurde. Er erzählte später, in diesem Versteck habe er unsäglich gelitten und habe Gott gelobt, falls er ihn aus diesem schrecklichen Zustand errette, wolle er sich nie mehr über etwas beklagen. „Und“, setzte er mit kindlicher Einfalt hinzu, „ich habe beinahe Wort gehalten.“
Gerne und oft sprach der Pfarrer von Ars von seinem Aufenthalt in Les Noës und bewahrte bis in sein spätestes Alter den guten Einwohnern ein dankbares Andenken; er wäre gerne dort Pfarrer geworden, allein der Bischof von Lyon wollte ihn nicht entlassen. Vianney musste gehorchen, hegte aber stets den stillen Wunsch, einmal abzudanken und dann sein Leben in Lesnoës zu beschließen.
Wie nicht anders zu erwarten, hegte er immer die größte Dankbarkeit für die Witwe Fayot; um dieselbe wenigstens in etwas zu bekunden, schrieb er ihr alle Jahre. Einer dieser Briefe ist erhalten, in dem sich die innigste Dankbarkeit, kindliche Liebe und Frömmigkeit ausspricht. Diese große Anhänglichkeit wurde von der Witwe Fayot in hohem Grade erwidert. Wie freute sie sich, als sie die Nachricht von seiner Priesterweihe erhielt! Und als sie erfuhr, er sei Vikar in Écully, konnte sie sich die Freude nicht versagen, ihn aufzusuchen. Sie ging hin, fand im Pfarrhause viele Priester und unter ihnen hohe Würdenträger versammelt; sie aber hatte nicht sobald ihren Johannes unter denselben erblickt, als sie auf ihn zueilte und ihn angesichts aller Anwesenden umarmte. Der Pfarrer sprach gern von diesem Abenteuer und freute sich jedes Mal herzlich darüber.