Johann Baptist Maria von Vianney, Pfarrer von Ars - drittes Buch. Vianneys heroisches Leben. Von der Gründung der Providence bis zu deren Auflösung. 1825-1847.



Viertes Kapitel: Seine Krankheit und wunderbare Genesung.



Vianney übernahm, wie wir gesehen, Arbeiten und Abtötungen, die mehr als ein Menschenleben hätten abnützen müssen, und wenn wir gleichwohl sahen, daß er bis jetzt nicht unterlegen ist, so muß man dies als ein Wunder der Gnade betrachten. Indessen schien es doch, als ob dieses Wunder enden solle, denn seine Gesundheit gab Veranlassung zu den ernstlichsten Bedenken. Ars hat keine gesunde Lage, und schon bei seiner Ankunft litt er lange Zeit an den schleichenden Fiebern, die dort sehr häufig sind. So verging denn im Allgemeinen selten ein Jahr, in welchem er nicht irgend eine Krankheit durchmachte, ja wir dürfen annehmen, daß er selten ohne Schmerzen war; allein sein Geist hatte eine solche Macht über seinen „armseligen Körper“ (pauvre cadavre), wie er zu sagen pflegte, erlangt, daß er stets ruhig und lächelnd erschien und seine Stimmung nicht vermuten ließ, welch heftiges Kopfleiden er zu erdulden hatte. Katharina Lassagne berichtet, daß zuweilen, wenn sie mit ihm hätte reden wollen, er nur auf seine Stirne gezeigt habe mit dem Ausdruck des heftigsten Schmerzes. Trotz alledem war seine Konstitution so gut, daß er sich allezeit rasch erholte, wenigstens so weit, um seinen Geschäften nachzugehen. Im September 1842 litt er an einer Brustentzündung, die nicht unbedeutend war, aber plötzlich war aller Grund zur Besorgnis verschwunden, und er wunderbar schnell genesen, so daß selbst der Arzt erklärte, er sei unbesorgt um den Pfarrer von Ars; denn wenn er meine, der Kranke wolle ihm entschlüpfen, so erlange er wie durch einen Zauber neue Kräfte: „Ein Anderer als ich heilt ihn“, fügte er bei.

In den ersten Tagen des Monats Mai 1843 aber verfiel er in eine schwere, die größten Besorgnisse erregende Krankheit. Die Zahl der Fremden war in diesen Tagen bedeutender denn je, so daß Vianney allein ohne Hilfe der Last erliegen mußte. Er hatte die Gewohnheit, im Monat Mai täglich abends die Kanzel zu besteigen, um einige Worte an die versammelte Menge zu richten; allein schon am dritten Tage befiel ihn mitten in dieser Anrede eine solche Schwäche, daß er abbrechen mußte; er wollte noch das Gebet vorsprechen, aber seine Kräfte waren erschöpft. Nur mit großer Mühe konnte er von der Kanzel herabsteigen; er mußte sich zu Bette begeben, und alsbald zeigten sich die gefährlichsten Symptome.

Es ist unmöglich, den Schmerz und die Bestürzung seiner Pfarrkinder zu schildern. Im ganzen Dorfe herrschte Totenstille, so daß man hätte meinen sollen, in jedem Hause läge ein Toter. Sobald einer der Krankenwärter erschien, sammelte sich eine große Schar um ihn, um Nachrichten von dem Pfarrer, dem allverehrten Vater der Gemeinde, zu erhalten. In seinem ausführlichen Leben vom Missionär Monin finden sich zahlreiche Briefe, in denen der tiefste Schmerz sich ausspricht; es würde uns zu weit führen, wenn wir dieselben hier anführen wollten. Viele der Pilger flehten um die Gnade, den heiligen Pfarrer nur von der Türschwelle aus sehen zu dürfen, um seinen Segen zu erhalten. Sprechen konnte er nicht, allein seine Blicke sprachen in beredten Worten; da ihn jedoch auch dieses ermüdete, so war man genötigt, alle abzuweisen.

Am fünften Tage der Krankheit fand eine ärztliche Beratung statt, an der drei berühmte Ärzte sich beteiligten; diese erklärten die Krankheit als eine heftige Lungenentzündung. Das Fieber war so stark, daß eine gänzliche Bewußtlosigkeit zu befürchten stand; deshalb waren die Krankenwärter aufs Strengste angewiesen, jede Aufregung von dem Kranken fernzuhalten und ihm unter keiner Bedingung das Reden zu gestatten. Seine Schwäche war so groß, daß er aus einer Ohnmacht in die andere fiel, und der Lehrer von Ars, Pertinant, sein treuer und liebevoller Pfleger, mußte hinter den Bettvorhängen stehen, um jede Reaktion auf sein Gehirn zu vermeiden.

Angesichts der Befürchtungen der Ärzte hielt Vianneys Beichtvater, einer der benachbarten Pfarrer, es angezeigt, dem Kranken die heiligen Sterbsakramente zu erteilen. Die Liebe und Verehrung, deren Gegenstand der Kranke war, hatte sieben Pfarrer in Ars vereinigt; die Herren kamen nun überein, allein zu assistieren und mit der Glocke kein Zeichen zu geben, um die Trostlosigkeit der Pfarrangehörigen nicht noch zu erhöhen. Vianney hörte jedoch diese Verabredung, wandte sich lebhaft zu seinen Amtsbrüdern und sprach: „Lassen Sie doch läuten! Müssen denn die Pfarrkinder nicht für ihren Pfarrer beten?“

Beim ersten Ton der Glocke eilten denn auch alle herbei, um das Allerheiligste Sakrament in das Pfarrhaus zu begleiten. Gerne hätten alle der feierlichen Handlung beigewohnt, um die ehrwürdigen Züge ihres allverehrten Seelenhirten noch einmal zu sehen; allein dies konnte nur wenigen gestattet werden; die Übrigen knieten weinend und betend in den Gängen, auf der Treppe, im Hausflur und vor dem Hause. Dem Kranken wurden vor dem Empfang der heiligen Wegzehrung die gewöhnlichen Fragen gestellt. Als man ihn fragte, ob er alle Wahrheiten unserer heiligen Religion glaube, antwortete er: „Ich habe nie daran gezweifelt“; ob er seinen Feinden verzeihe: „Ich habe Gott sei Dank niemals jemandem Übels gewollt.“

Am andern Tage wurde nach der Aussage des Lehrers von Ars auf Wunsch Vianneys eine Messe am Altare der heiligen Philomena gelesen, an der Einheimische und Fremde teilnahmen. Vor dem Beginn der heiligen Messe bemerkte der Lehrer eine außergewöhnliche Stimmung bei dem Kranken; er schien in einem Zustand großer Angst und Verwirrung zu sein. Sobald indessen das heilige Meßopfer begonnen, wurde der Kranke ruhiger, er machte auf den Lehrer den Eindruck eines Menschen, der etwas ihm Angenehmes und Beruhigendes sieht. Kaum war die Messe beendet, so rief er aus: „Mein Freund, es geht eine große Veränderung in mir vor; ich bin genesen!“ Man denke sich die Freude des treuen Pflegers! Er erklärt, daß er fest überzeugt sei, der Pfarrer habe eine Vision gehabt, und die heilige Philomena sei ihm erschienen. Von diesem Augenblick begann denn auch wirklich die Genesung, die von allen als ein Wunder der göttlichen Gnade angesehen wurde. Seine Kräfte erlangte er mit einer, wie die Ärzte sich ausdrückten, sonderbaren Schnelligkeit wieder; der Pfarrer selbst sagte: „Es ist nicht sonderbar, sondern wunderbar!“

Nachdem nun Vianney sich kräftig genug fühlte, das Bett zu verlassen, so war, wie leicht begreiflich, sein erster Gedanke darauf gerichtet, seinen lieben, im Tabernakel gegenwärtigen Heiland zu besuchen, nachdem er sechzehn Tage das Heiligtum nicht betreten hatte. Freitags, den 19. Mai, ließ er sich zur Kirche führen. In tiefer Andacht verharrte er hier eine Zeitlang vor dem Allerheiligsten Sakramente, durchdrungen von Dank gegen Gott, der ihn zum Leben und somit zu neuem Wirken in seinem Dienste zurückberufen hatte. Dann begab er sich in die Kapelle seiner „lieben, kleinen Heiligen“ und betete auch da lange Zeit mit wunderbarer Inbrunst.

„Acht Tage lang“, berichtet der Lehrer, „führte ich ihn in der Nacht zwischen zwölf und ein Uhr zur Kirche; er las die heilige Messe, und zwar tat er es deshalb zu einer so ungewöhnlichen Stunde, weil seine Schwäche es ihm nicht gestattete, länger nüchtern zu bleiben. Sobald er in die Kirche eingetreten war, gab die Glocke ein Zeichen, und die ganze Bevölkerung eilte herbei. Wir freuten uns im Herrn, unseren heiligen Pfarrer aufs Neue unter uns zu sehen.“

Aus einem Briefe, der zu damaliger Zeit geschrieben wurde, ersieht man, daß man allgemein der Meinung war, Vianney selbst habe seine Genesung gewünscht, weil er seine Tage noch nicht vollzählig fand, und er sich vor den göttlichen Strafgerichten fürchtete. Und wirklich unterschied sich diese seine erste Krankheit dadurch von seiner zweiten, daß er sich vor dem göttlichen Gerichte und dem Tode fürchtete und daher auch öfter ausrief: „Nein, nein, mein Gott! Noch nicht! Noch nicht! Ich bin nicht bereit, vor deinem furchtbaren Richterstuhle zu erscheinen.“

Ein anderer Brief spricht die Angst aus, die Pfarrei möchte ihren Pfarrer dennoch verlieren, obwohl Gott ihn erhalten hatte. Man entnahm aus seinen Äußerungen, daß der Wunsch ihn beseelte, sich zurückzuziehen, um sich in der Einsamkeit auf den Tod vorzubereiten. Wir werden im nächsten Kapitel sehen, daß man sich nicht getäuscht hatte.