Johann Baptist Maria von Vianney, Pfarrer von Ars - zweites Buch. Vianneys Leben als Pfarrer. Vom Beginn seines Pfarramtes bis zum Beginn der Pilgerfahrten nach ars. 1818-1825.
Sechtes Kapitel: Gründung der Providence. Wunder in derselben.
„Daran“, sagt der Heiland, wird man erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebet.“ Vianney strebte danach, diese erhabene Liebe zu üben; er wollte im eigentlichen Sinne seinem Herrn und Meister nachfolgen, von dem es heißt: „Er ging umher und spendete Wohltaten.“ So waren es denn vorzüglich die Armen, Schwachen und Kleinen, die unserem Pfarrer am Herzen lagen. Allen hätte er helfen mögen. Daher kam er auf den Gedanken, ein Haus zu gründen für weibliche Waisen, um diese armen verlassenen zu schützen. Diese Anstalt, der er den Namen la Providence, die Vorsehung, gab, begann klein, wie alle Werke Gottes. Hinter dem Chor der Kirche lag ein neues Haus, welches ganz zweckentsprechend eingerichtet war; auf dieses Haus wendete er sein Augenmerk. Bevor er jedoch irgendeinen Schritt tat, wollte er noch mit seinem Gott zu Rate gehen; darum verkündete er eine neuntägige Andacht zu Ehren der heiligen Jungfrau, und gelobte, all sein Hab und Gut für diese Anstalt herzugeben.
Da aber seine täglichen Almosen so reichlich waren, so hatte er nie Geld; sein Gehalt war meistens schon im Voraus verausgabt, wie auch die jährliche Rente, welche er von seinem elterlichen Vermögen besaß. Dies reichte selten aus und so enthalten die Briefe an seinen Bruder meistens die Bitte um Vorauszahlung seiner Rente.
Da zu dem neuen Projekt seine gewöhnlichen Geldmittel nicht ausreichten, so entschloss er sich, all sein Hab und Gut zu verkaufen. Das Haus kostete zwanzigtausend Franken, so viel betrug ungefähr der Wert dessen, was er noch in der Heimat besaß. Eine solche Anstalt ist aber noch lange nicht gegründet, wenn die Mauern stehen. Vielerlei war noch notwendig: vor allem musste er jemanden finden, dem die Leitung der Anstalt anvertraut werden könnte. Zuerst beabsichtigte er, einige Klosterfrauen dazu zu berufen; allein nach reiflicher Erwägung aller Verhältnisse wählte er zwei Personen aus seiner Gemeinde: Benedicta Lardet und Katharina Lassagne, die ebenso wohl durch Frömmigkeit und Geist, als auch durch praktischen Sinn ausgezeichnet waren; diese sandte er auf ein Jahr in ein passendes Kloster, damit sie sich noch besser ausbilden könnten, dann rief er sie zurück. Sie mussten sich zur Armut, zum Gehorsam, zur Demut und gänzlichen Hingabe an die göttliche Vorsehung verpflichten, ohne jedoch förmliche Gelübde abzulegen. Unser Pfarrer sagte von diesen beiden, die eine solle das Herz, die andere der Kopf der Anstalt sein. Als diese beiden ins Haus einzogen, fanden sie nichts als einen Topf Butter und einige trockene Käse, Brot fand sich keines vor. Nachdem sie das Haus gereinigt hatten, wollten sie nach Hause zum Essen zurückkehren; doch entschlossen sie sich zu bleiben und meinten, die göttliche Vorsehung würde ihnen vielleicht etwas schenken; so kam es auch. Die Mutter der einen schickte das Mittagessen; etwas später erhielt auch die andere zu essen, somit hatten sie für den ersten Tag das Nötige. Tags darauf backten sie Brot. Einige Tage später bekamen sie noch Gehilfinnen, es waren dies eine fromme Witwe und ein junges kräftiges Mädchen, Johanna Maria Chaney, welche die schweren Arbeiten besorgte. Zu dem Kopf und dem Herzen waren nun auch die Arme gefunden.
Zuerst gründete Vianney in der Anstalt eine Mädchenschule für seine Pfarrei, an der er später auch einige Fremde zu unentgeltlichem Unterricht und freier Wohnung zuließ; die Kost mussten die Fremden mitbringen, während der Pfarrer die Kost der Einheimischen besorgte. Einige Zeit darauf kam eine Lyonerin, die sich zwar nicht vollkommen an die Anstalt binden wollte, aber dennoch gern einen Teil der Leitung übernahm und manche Ausgaben aus eigenen Mitteln bestritt; eine große Erleichterung für den guten Pfarrer.
Anfangs hatte Vianney durch Erwerbung einiger Felder seinem Werk eine sichere Grundlage geben wollen; allein bald erkannte er, dass die Besorgung derselben zu viel Last verursache, daher verkaufte er sie an einen Grafen, der ihm eine jährliche Rente anbot, die so viel betrug, als das Kapital Zinsen abgeworfen hätte.
Jetzt glaubte Vianney, schon einige arme Kinder aufnehmen zu können; er begann mit zwei oder drei Waisenmädchen, deren Zahl sich bald vermehrte. Der gute Pfarrer unterstützte die Anstalt aus allen Kräften und sein liebreiches Herz fand hier einen Boden, wo es ganz seinem edlen Zuge folgen konnte. Er war Baumeister, Maurer und Zimmermann zugleich; er bereitete selbst den Mörtel, trug Steine herbei, klopfte sie zurecht und unterbrach diese rauhe Beschäftigung nur, wenn die Pflichten der Seelsorge ihn riefen.
Gottes Segen ruhte sichtbar auf der Anstalt; mit Hilfe einiger wohltätigen Personen und durch unerwartete Hilfsmittel wurde dieselbe in kurzer Zeit derartig erweitert, dass man sechzig Mädchen aufnehmen konnte, die ganz von der Providence unterhalten, dem gefährlichen Vagabundieren entrissen und zu guten Christen herangebildet wurden. Jedes neu angekommene Mädchen wurde mit der größten Liebe aufgenommen, und fand die liebevollste Sorgfalt, sowohl von Seiten des edlen Gründers, als auch von den Leiterinnen der Anstalt.
Die Providence von Ars wurde bald das Vorbild von zahllosen Anstalten gleichen Namens, die über ganz Frankreich sich verbreiteten. Diese Anstalt hatte unscheinbar begonnen, wie alle Werke Gottes, mit Nichts hatte Vianney angefangen, als nur im Vertrauen auf die göttliche Vorsehung. Sein gläubiges Vertrauen lohnte der Herr sichtbar, denn die sich entgegenstellenden Schwierigkeiten wurden oft in unbegreiflicher Weise gehoben und neue unerwartete Hilfsquellen eröffneten sich ihm.
Schwere Stunden fehlen indessen nirgends und die Anstalt hatte zuweilen beängstigende Augenblicke zu ertragen. „Wenn Gott“, sagt Bossuet, so recht zeigen will, dass ein Werk ganz seiner Hand angehört, so lässt er alles bis zur Ohnmacht und zur Verzweiflung gelangen, dann erst handelt er.“ So auch hier; zweimal war das Eingreifen Gottes so augenscheinlich, mit so unerklärlichen Umständen begleitet, dass es unmöglich ist, nicht an ein Wunder zu denken. Eines Tages war fast kein Mehl mehr vorhanden; das Brot war aufgezehrt und im ganzen Dorf war kein Bäcker. Achtzig Personen sollten aber gespeist werden – was war zu tun? Die Oberin Benedicta Lardet wusste keinen Rat. Eine der Lehrerinnen sagte zu Johanna Maria Chaney, die gewöhnlich das Brotbacken besorgte: „Wenn man nun aus dem noch vorhandenen Mehl Brot backen und dann zusehen würde?“
Worauf Johanna Maria erwiderte: „Ich habe auch schon daran gedacht, allein dazu bedarf es der Anordnung des Herrn Pfarrers, was er sagt, das wollen wir tun.“ Sie ging also zu Vianney und sagte: „Herr Pfarrer, der Müller hat unser Mehl nicht geschickt, und von dem, was wir noch haben, können wir höchstens zwei Brote backen.“
„Setzt das Wenige“, erwiderte dieser, „mit dem Sauerteig an, schließt euren Backtrog und tut morgen, als wenn alles in Ordnung wäre.“ Pünktlich wurden diese Worte erfüllt; und als nun andern Tags Johanna Maria den Teig knetete, stieg dieser unter ihren Händen. Sie goss Wasser hinzu, aber trotzdem verdichtete der Teig sich immer mehr, so dass der Backtrog im Augenblick bis zum Rande voll war, und man aus dem wenigen Mehl zehn große Laib Brot zu zwanzig Pfund bekam. Diese wunderbare Tatsache ist uns von den Augenzeugen erzählt worden; wir wollen nichts beifügen, sondern nur daran erinnern, dass Christus der Herr, der Brot und Fische vermehrt hat, seinen Jüngern verheißen, dass sie solche Werke tun könnten, wenn sie Glauben hätten.
Ein anderes Mal fehlte es wieder an Brot, zudem war weder Getreide noch Mehl noch Geld im Hause. Diesmal glaubte Vianney, Gott habe ihn seiner Sünden wegen verlassen, und fürchtete schon, die armen Kinder fortschicken zu müssen. Bevor er jedoch zu diesem äußersten Mittel griff, stieg er noch einmal auf den Speicher, mit Angst und Sorge erfüllt. Zitternd öffnet er die Tür! Aber, o Wunder, der Speicher ist mit Getreide angefüllt! Voll Freude eilte er nun sogleich zu den Waisenkindern, um ihnen dieses glückliche Ereignis zu erzählen: „Ich hatte an der göttlichen Vorsehung gezweifelt, meine Kinder“, sagte er, „ich wollte euch zurückschicken, der liebe Gott hat mich schön bestraft.“ Das waren gewöhnlich seine Worte, wenn die göttliche Güte ihm so ganz besondere Beweise ihres Schutzes gab.
Die Nachricht von diesem Wunder verbreitete sich alsbald im Dorfe; der Bürgermeister eilte herbei, um das wunderbare Getreide zu sehen, und der Müller erklärte, nie so schönes Getreide gesehen zu haben.
In späteren Zeiten spielte der Pfarrer von Ars öfter auf dieses Wunder an, das er der Fürbitte des heiligen Franziskus Regis zuschrieb, dessen Reliquien er in dem Speicher aufgestellt hatte.
Einige Jahre später wollte der Bischof den Pfarrer selbst darüber vernehmen: unter dem Vorwand, die Anstalt zu visitieren, kam er und ließ sich im ganzen Hause herumführen. Als sie auf dem Speicher waren, wandte er sich dort plötzlich zum Pfarrer, und indem er mit der Hand eine beträchtliche Höhe bezeichnete, sagte er zu demselben: „So weit also kam das Getreide?“ – „Nein, Euer Bischöflich Gnaden“, erwiderte einfach der Pfarrer, „bis hierhin“, dabei deutete er noch höher hinauf.
Da wir gerade von Wundern schreiben, so wollen wir noch eines berichten, das Johanna und Maria Filliat erzählten. Eines Tages bemerkte eine Schwester, dass ein Weinfaß auslaufe; sie berichtete es dem Pfarrer, der in aller Ruhe erwiderte: „Darüber braucht man sich nicht zu beunruhigen; der, welcher zugelassen hat, dass der Wein ausläuft, kann ihn auch wieder zurückkehren lassen.“ Als Maria Filliat wieder in den Keller kam, bemerkte sie sogleich, dass kein Tropfen Wein mehr in dem Faß war; nachdem sie nun das Faß untersucht und den Schaden an demselben repariert hatte, schöpfte sie den Wein, der noch ziemlich klar oben auf dem Sande des Kellers stand, sorgfältig ab, und füllte damit zwei kleine Gefäße, die sie in das leere Faß schüttete. Nebenan stand ein anderes Faß, das schon über die Hälfte geleert war; diesen Rest schüttete man in das leere Faß, und siehe, dasselbe Faß war bis obenan mit Wein gefüllt. So lautet die Erzählung der Augenzeugen, welche mit einer Vertrauen einflößenden Einfachheit den Sachverhalt vortrugen.
Ein anderes Mal legte der Pfarrer selbst den Kindern beim Essen vor, dabei machte er aber so große Portionen, dass Katharina Lassagne sich zu bemerken erlaubte: „Herr Pfarrer, wenn Sie so fortfahren, so können nicht alle etwas bekommen.“ Er aber achtete nicht darauf, er gab nicht weniger reichlich, und am Ende blieb sogar zum größten Erstaunen Katharinas noch etwas in der Schüssel.
Einst hatte Vianney von einem Manne aus seiner Pfarrei eine beträchtliche Menge Getreide gekauft; da er nicht zahlen konnte, bat er um Aufschub. Der zur Zahlung bestimmte Tag kam indessen, und unser Pfarrer hatte kein Geld. Wie gewöhnlich eilte er ins Freie, um den Rosenkranz zu beten und sein Anliegen der gebenedeiten Gottesmutter zu empfehlen. Sein Gebet blieb nicht unerhört. Eben war er an den Rand eines Gehölzes gekommen, als er plötzlich eine Frau erblickte, die zu ihm sprach: „Sind Sie der Pfarrer von Ars?“ – „Jawohl.“ – „Da ist Geld, das ich Ihnen bringen soll.“ – „Sind das Meßstipendien?“
„Nein, Herr Pfarrer, man empfiehlt sich nur in ihr Gebet.“ Mit diesen Worten reichte sie dem erstaunten Pfarrer eine Börse und verschwand ohne zu sagen, wer sie sei, und wer sie geschickt habe.
Doch wir würden nicht zum Schlusse kommen, wollten wir alle Fälle anführen, in denen die göttliche Barmherzigkeit sich zu Gunsten Vianney's und seiner Armen offenbarte.
Wenn es schon höchst wunderbar ist, daß eine so zahlreiche Familie mit so wenig Mittel bestehen konnte, so steigert sich unsere Verwunderung noch, wenn wir erfahren, daß die Anstalt auch nach Außen hin Unterstützungen austeilte, wie dies öfters vorkam. Vianney erkannte dankbar die liebreiche Fürsorge des himmlischen Vaters, und benutzte jede Gelegenheit, das Vertrauen zur göttlichen Vorsehung bei den Vorsteherinnen der Anstalt immer mehr zu befestigen, sie mit Dank gegen dieselben zu erfüllen und ihnen die Vorteile der Armut von allen Seiten zu beleuchten.