Johann Baptist Maria von Vianney, Pfarrer von Ars - erstes Buch



Erstes Kapitel: Geburt und Kindheit Vianneys



Durch die Sünde Adams sind dessen Nachkommen der Erbsünde anheimgefallen, und das neugeborene Kind ist nicht so rein und unschuldig wie der aus der Hand des Schöpfers hervorgegangene erste Mensch. Durch Gottes Barmherzigkeit und die Verdienste des Erlösers wird das Kind zwar in der heiligen Taufe ein Kind Gottes; allein die Folgen der Erbsünde bleiben dem Menschen, und nur durch Kampf und Streit mit der verderbten Natur wird es, von der Gnade getragen, sein Heil wirken. Dennoch lässt es sich nicht bestreiten – die Erfahrung lehrt es –, dass nicht nur einzelne Menschen von Natur aus glücklichere Anlagen haben, sondern dass es auch Familien gibt, in denen durch eine besondere Gnade die Tugend erblich zu sein scheint. Einer solchen Familie entstammte auch der vor einigen Jahren in Frankreich verstorbene Pfarrer von Ars, dessen Leben wir hier in Kürze schildern wollen. Wir entnehmen die einzelnen Züge aus dem ausführlichen Lebensbericht des Missionärs Monin, der wegen seiner Weitläufigkeit, seines größeren Umfangs und seines damit höheren Preises weniger zugänglich ist und vielleicht auch nicht immer den Geschmack des deutschen Lesers ganz trifft.

Die Eltern dieses so reich begnadigten Dieners Gottes waren Matthias Vianney und Marie Beluse, die beide ein höchst gottesfürchtiges, christliches Leben führten. Der Vater war ernst und streng, dabei aber höchst ehrenwert. Die Mutter hingegen hatte eine angeborene Zartheit, war liebenswürdig und einnehmend im Benehmen mit anderen, und ihr ganzes Wesen zeigte den Adel der Tugend. Gott segnete die Ehe der frommen Gatten mit sechs Kindern, unter denen der Pfarrer von Ars das vierte war; er hatte zwei Brüder und drei Schwestern, die sämtlich ein frommes Leben führten; nur eine Schwester lebt noch.

Als die tugendhafte Mutter den zweiten ihrer Söhne unter ihrem Herzen trug, opferte sie ihn öfter dem Erlöser und seiner heiligen Mutter auf und machte das stille Gelübde, ihn, wenn es Gott gefiele, dem Dienste des Herrn zu weihen. Am 8. Mai 1786 erblickte dieses gewissermaßen schon im Mutterschoß geheiligte Kind das Licht der Welt und erhielt in der heiligen Taufe, die ihm noch am selben Tag gespendet wurde, die Namen Johann Baptist Maria. Dieser Name des Vorläufers des göttlichen Heilandes war sehr glücklich gewählt, da der kleine Johannes durch sein eifriges Wirken dereinst wie der Vorläufer Christi eine Stimme des Rufenden in der Wüste werden sollte.

Die fromme Mutter bewachte mit ängstlicher Sorge und Liebe die erwachende Vernunft ihres Sohnes und suchte gleich die ersten Regungen derselben auf Gott hinzulenken. Mit achtzehn Monaten faltete der Kleine schon seine Händchen; während er auf den Knien der Mutter saß, lallte er die Namen Jesus und Maria, die die Mutter ihm vorsagte. In dem Maße, wie das Kind sich entwickelte und sich verständlich machen konnte, lehrte sie ihn weitere Gebete. Der heiligmäßige Pfarrer erzählte später oft, wie seine Mutter jeden Morgen alle ihre Kinder weckte, um sicherzugehen, dass sie sogleich ihr Herz zu Gott erhoben. Welch ein Beispiel für die christlichen Mütter! „Wenn wir,“ sagte der Geschichtsschreiber des Pfarrers von Ars, „den ehrwürdigen Pfarrer dafür priesen, schon in der Jugend so viel Geschmack am Gebet gefunden zu haben, so erwiderte er: ‚Nächst Gott ist dies das Werk meiner Mutter, sie war so brav!‘ ‚Die Tugend,‘ fügte er hinzu, ‚geht aus dem Herzen der Mutter in das Herz des Kindes über, denn gerne tut das Kind, was es die Mutter tun sieht.‘“

Mit drei Jahren suchte der kleine Johannes schon aus Liebe zum Gebet die Einsamkeit; noch konnte er kaum sprechen, als er schon Teil nehmen wollte an den Andachtsübungen der Familie, und sobald der erste Schlag der Gebetsglocke ertönte, kniete der Kleine nieder, wo er auch war. Oft konnte man ihn in einem Winkel des Hauses treffen, wo er knieend alle Gebete, die er auswendig wusste, wiederholte.

Das erste Geschenk, das er erhielt, war eine kleine Statue der heiligen Jungfrau, die seine Mutter ihm gegeben hatte; diese Statue war ihm ein Gegenstand frommer Verehrung, und noch in seinem Alter pflegte er zu sagen: „Wie liebte ich diese Statue! Ich konnte mich Tag und Nacht nicht von ihr trennen, und ich hätte nicht schlafen können, wenn sie nicht in meinem Bettchen gelegen hätte!

Nur höchst selten brachte ihn eine Kindeslaune oder eine kleine Verdrießlichkeit zum Weinen; geschah es ja einmal, so durfte man ihm nur einen Rosenkranz oder ein Heiligenbild geben, das er allem anderen vorzog.

Die langen Winterabende benutzte die fromme Mutter dazu, mit dem Knaben von dem Himmel, von Gott, von dessen Eigenschaften und Geboten zu sprechen; mit Entzücken lauschte Johannes den Worten der Mutter.

Die Verehrung der heiligen Jungfrau erblühte schon früh in dem Herzen des frommen Knaben und wurde von der treuen Mutter sorgfältig gepflegt. „Lieben Sie die Mutter Gottes schon lange?" fragte ihn einst sein Hilfsgeistlicher, worauf er erwiderte: „Ich habe sie geliebt, bevor ich sie noch kannte; diese Liebe ist meine älteste Neigung. Als ich noch ganz klein war, besaß ich einen niedlichen Rosenkranz; dieser erweckte den Neid meiner Schwester, und sie wollte ihn haben. Das war eine meiner ersten Unannehmlichkeiten. Ich fragte meine Mutter um Rat, und sie sagte mir, ich solle mich aus Liebe zu Gott davon trennen. Ich tat es; aber das kostete mich viele Tränen!

Mit dem zunehmenden Alter befestigten sich diese guten Gesinnungen; Johannes liebte das Gebet, noch ehe er wusste, dass die Übung desselben eine Pflicht des Menschen sei. Das Gebet schützte ihn vor allen ungeziemenden und gemeinen Reden, deren er übrigens auch nie im Elternhause hörte. Auge und Ohr empfingen dort nie einen anderen Eindruck, als den der Tugend, da er nie von der Seite der Mutter wich.

Wir lassen hier noch einige Züge aus seiner Kindheit folgen.

Eines Tages fand man den vierjährigen Knaben nirgends, und seine Mutter, ein Unglück fürchtend, suchte ihn mit banger Sorge, bis sie ihn zuletzt in einer Ecke des Stalles fand, auf den Knien liegend und andächtig betend. Nur mit Mühe vermochte die fromme Mutter die Freude, die bei diesem Anblick ihr Herz durchzuckte, zu unterdrücken, um nur die ausgestandene Angst hervortreten zu lassen; sie sprach daher in vorwurfsvollem Ton zu ihm: „Aber, mein Kind, warum hast du mir denn so viel Unruhe gemacht, und was für ein Einfall, dich fern von mir zu verstecken, um zu beten?" Der Kleine warf sich in die Arme der Mutter und rief: „Mutter, verzeihe es mir; ich habe dir keine Sorge machen wollen, ich will nie wieder dahin gehen." Die letzten Worte wiederholte er mehrmals in tiefer Demut.

Ein anderes Mal äußerte ein Nachbar, der nicht besonders fromm war, dem Vater Vianney: „Ich glaube, Ihr Blonder hält mich für den Teufel; wenn er mich sieht, macht er ein Kreuzzeichen ums andere." Die Mutter, welche fürchtete, ihr Sohn möge in eine auffallende Sonderlichkeit verfallen, machte ihm daher Vorstellungen, die er aufmerksam anhörte und dann erwiderte: „Ich habe gar nicht gewusst, dass mich unser Nachbar sah; wenn man aber zu beten anfängt und wenn man schließt, dann muss man doch das heilige Kreuzzeichen machen!"

Wie es in der heiligen Schrift vom jungen Tobias heißt, daß er schon in zarter Jugend an dem Treiben seiner Altersgenossen keinen Geschmack fand und fleißig in den Tempel des Herrn ging, um Gott die Erstlinge seines Herzens und die Früchte des Feldes zu opfern, so that auch Vianney. Er wohnte mit einer sein Alter weit übersteigenden Frömmigkeit und Andacht dem heiligen Opfer des Altars bei und sah die Erlaubnis dazu als eine Begünstigung an, so daß die Leute zu seinen Eltern zu sagen pflegten: „Ihr müßt euern (euren) Sohn notwendig Priester werden lassen."

Das Beispiel seiner Eltern, ihr unerschütterlicher Glaube, ihr Gottvertrauen, ihre Frömmigkeit, führte ihn in ein christliches Leben ein, ohne daß er es selbst wußte. Oft dankte er daher in späteren Jahren Gott für diese Gnade, durch die er so glückliche Gewohnheiten sich angeeignet hatte und die Ausübung der Tugend ihm erleichtert wurde.

Doch diese heiligen Freuden wurden dem Kinde nur zu bald getrübt; denn noch war Johannes nicht acht Jahre alt, als die Kirchen in Frankreich infolge der ausgebrochenen Revolution geschlossen wurden von denen, die sich an die Spitze der Regierung gestellt hatten. Altäre wurden umgestürzt, Priester vertrieben; man wollte die Religion gewaltsam dem Herzen des Volkes entreißen; doch gottlob hatte der Glaube schon tiefe Wurzeln in dem reichbegabten Gemüt des Knaben geschlagen.

Die Kinder der Landleute müssen schon frühe Teil nehmen an den Arbeiten der Familie, und so begann denn auch unser Johannes mit sieben Jahren das Vieh seiner Eltern zu hüten. Hier in der Einsamkeit, umgeben von den Schönheiten der Natur, sprach Gott zu seinem Herzen, und der fromme Knabe lauschte mit Glauben und Liebe dem Worte des Herrn. Seine Frömmigkeit fand in den Werken der Allmacht, wie die Natur sie seinem staunenden Auge fortwährend in reicher Mannigfaltigkeit bot, stets neue Nahrung. Dies zeigte sich auch im Äußeren, und schon damals konnte man ahnen, welchen Beruf der Knabe dereinst erwählen werde.

In der Nähe seines Heimatdorfes liegt ein reizendes, anmutiges Tal. Zwei Quellen sprudeln aus dem mit üppigem Moos bedeckten Boden hervor und bilden in einiger Entfernung einen Bach, an dessen Ufern dickbelaubte Bäume und blühende Sträucher stehen. Man nennt diesen Ort „den Amselschlag", von dem Gesang der Vögel, die in zahlreichen Scharen dorthin kommen, angelockt von dem klaren Bache, den blühenden Bäumen und der dort herrschenden Ruhe und Stille, die nicht von dem Getriebe der Menschen gestört werden. Hier nun lag einer der bedeutendsten Weideplätze; deshalb führte Johannes seine Herde oft dahin.

Ruhig schreitet er hinter den Tieren einher, in der einen Hand einen Stock, in der anderen ein kleines Muttergottesbild haltend, das er innig an seine Brust drückt. Nicht sobald erblicken ihn seine Gefährten, die gleich ihm die Herden ihrer Eltern hüten, so begrüßen sie ihn mit lautem Jubel, denn er ist Aller Liebling durch seine Herzensgüte, Gefälligkeit und Milde. Obwohl diese kindlichen Kundgebungen ihn innig erfreuen, so vermögen sie doch nicht seinen Geist von ernsteren Dingen abzuhalten; man sieht ihn denn auch auf eine kleine Anhöhe hinschreiten, wo er das Bild der heiligen Jungfrau an einen Baum anlehnt, sodann demütig niederkniet, um ihr seine Verehrung zu beweisen. Seine Gefährten folgen seinem Beispiel, und Johannes voll Freude darüber spricht zu ihnen von Maria und wird nicht müde, ihr Lob zu verkünden. Die anderen Knaben, gleichfalls ihren Spielen entsagend, hören aufmerksam ihrem kleinen Prediger zu – wenigstens für kurze Zeit, bis die Liebe zum Spiel wieder die Oberhand gewinnt. Johannes aber, dieses Kind der Gnade, blieb oft stundenlang in Andacht versunken vor seinem Bilde auf den Knien liegen. Zuweilen vertraute er auch seine Herde der Obsorge eines zuverlässigen Kameraden an; dann zog er sich noch tiefer in die Einsamkeit zurück, um ungestört dem Gebete zu obliegen.

Nächst Gott liebte er am meisten die Armen, wie es auch von seinem frommen Gemüt nicht anders zu erwarten war; denn wie könnte man Gott lieben, ohne die Nächsten und unter diesen vor allem die Armen und Unglücklichen, die besonderen Freunde des Herrn, zu lieben? Schon damals entflammte in seinem jugendlichen Herzen jene Liebe, die sein späteres Wirken auszeichnete. Die Innigkeit seines Herzens und dieses Gemütsleben traten bei dem Knaben stärker hervor, während die Gaben des Geistes sich damals noch weniger zeigten.

Das Vianney'sche Haus war ein Asyl für die Unglücklichen; dort kamen sie aus weiter Ferne zusammen, und nicht selten beherbergte die Scheune zwanzig Arme zugleich. In der Küche wurde, falls die Witterung rau war, ein kräftiges Feuer entzündet, ein großer Topf mit Kartoffeln gekocht, und die Kinder nahmen mit den Armen am selben Tisch Platz. Nachdem das gemeinschaftliche Gebet verrichtet worden war, führte der Hausvater seine Gäste zu ihren Schlafstätten, sorgte dafür, dass es ihnen an nichts mangelte, während die Hausfrau alles säuberte und in Ordnung brachte. Unser Johannes hatte keine größere Freude, als den Eltern helfend zur Hand zu gehen. Alle Armen, die er unterwegs fand, brachte er nach Hause; einmal hatte er 24 gesammelt. Oft begleiteten diese Unglücklichen Kinder seines Alters; wie tief bewegte den liebevollen Knaben deren Elend, und wie eifrig war er, die in Lumpen gehüllten Kleinen zu wärmen und ihnen von der Freigebigkeit seiner Mutter ein Kleidungsstück zu erbetteln!

Doch er beschränkte sich nicht auf die leiblichen Werke der Barmherzigkeit. Wenn er durch seine Almosen das Herz der Unglücklichen gewonnen hatte, bemühte er sich auch um die Werke der geistlichen Barmherzigkeit: Er lehrte sie Gebete, sprach mit ihnen von Gott und ermahnte sie zur Liebe Gottes, zur Geduld und Ergebung. Obgleich er zunächst nur zu den Kindern sprach, hörten ihm auch die Erwachsenen gerne zu und überschütteten ihn bei ihrer Abreise mit Lob und Dank, denen er mit Bescheidenheit begegnete.

So verging die Jugend des ehrwürdigen Dieners Gottes, indem er schon damals begann, dem Ruf der Gnade zu folgen und sich so auf seine spätere Laufbahn vorzubereiten.