Johann Baptist Maria von Vianney, Pfarrer von Ars - zweites Buch. Vianneys Leben als Pfarrer. Vom Beginn seines Pfarramtes bis zum Beginn der Pilgerfahrten nach ars. 1818-1825.
Erstes Kapitel: Seine Ankunft in Ars. Sein fortwährendes Gebet. Sein erstes Auftreten. Sein Verkehr mit den Pfarrkindern. Fräulein von Ars.
Ars ist ein kleines, in der Diözese Lyon gelegenes Dorf, das zu damaliger Zeit ziemlich einsam und abgeschlossen war. Seitdem sich jedoch neugebaute Landstraßen dort kreuzen, kam etwas mehr Leben und Verkehr hinein. Der Boden erhebt sich wellenförmig, sodass sich kleine Hügel und Täler mit Bächen abwechseln, die weiter unten einem kleinen Fluss zueilen. Kommt man von Süden her, so erblickt man zuerst das von hohen Pappeln und herrlichen Buchen umgebene Schloss, das uns in seinem ernsten, mit einem viereckigen Turm versehenen Baustil in die Zeiten des Mittelalters versetzt.
Die Bevölkerung betreibt Ackerbau. In der Verehrung und Liebe, mit der dieses Volk seinen Hirten umgab, zeigte es, dass es auch tiefe Eindrücke empfangen konnte. Gleich nach Wiederherstellung des Kultus erhielt das Dorf wieder einen Pfarrer; Vianney hatte zwei Vorgänger, von denen der eine durch den Bischof an einen anderen Posten berufen und der zweite verstorben war.
Der neu ernannte Pfarrer traf am 9. Februar 1818, in den ersten Tagen der Fastenzeit, in Ars ein, arm wie die Apostel. Sein ganzes Hab und Gut bestand aus einer Bettlade und einigen Kleidungsstücken. Man erzählt, dass er beim Anblick der Dächer seiner neuen Pfarrei auf die Knie fiel und Gottes reichsten Segen über sie herabrief.
Vielleicht hätten die Bewohner von Ars nicht sofort erkannt, welches Geschenk ihnen Gott in dem bescheidenen Pfarrer gesandt hatte, wenn nicht so viele Leute aus Écully gekommen wären, um ihren unvergesslichen Vikar wiederzusehen. Was jedoch von Anfang an auffiel und seine Demut nicht verbergen konnte, war die Lebendigkeit seines Glaubens und die Andachtsglut, mit der er das heilige Opfer darbrachte. Der Landmann besitzt meist viel Takt und ein feines Gespür für die Beurteilung seines Pfarrers. Er glaubt leicht an dessen Tugend, wenn er sieht, dass dieser fromm ist und gerne betet. Sein Pfarrer muss ein Mann Gottes, ein Mann des Gebets und ein Mann des Opfers sein.
Mit der Gnade zum Beruf hatte Gott unserem Pfarrer auch die klare Erkenntnis seiner Pflichten verliehen. Diese Erkenntnis, verbunden mit dem unerschütterlichen Willen, alle seine Aufgaben in vollem Umfang zu erfüllen, beseelte ihn und war die treibende Kraft seines Handelns. Er erwartete nichts von sich selbst, sondern alles von der Gnade Gottes. Seine Demut ließ ihn erkennen, dass er nur wenige Vorzüge besaß, die Menschen anzuziehen vermochten. Doch das entmutigte ihn keineswegs und beeinträchtigte sein Gottvertrauen nicht. Gott hatte ihn berufen; er war nur das Werkzeug in Seiner Hand. Daher flehte er inbrünstiger als je um den göttlichen Beistand. Man konnte ihn stundenlang in der Kirche beten sehen, und wer ihn suchte, war sicher, ihn dort zu finden. Da er einen großen Teil des Tages und der Nacht in der Kirche verbrachte, hielt er es nicht für notwendig, sein Zimmer einzurichten. So bot das Pfarrhaus einen so eigenartigen Anblick, dass andächtige Besucher, die sich einfanden, in Erstaunen versetzt wurden. Man war versucht zu glauben, hier sei die Wohnung eines Geistes, da alles fehlte, was uns zum Leben so notwendig erscheint.
Nichts davon entging seinen Pfarrkindern, die jeden Tag eine neue Gelegenheit fanden, ihren Pfarrer zu verehren und zu lieben. Wenn somit die Bewohner von Écully noch immer zu seinem Beichtstuhl eilten und ihn nicht vergessen konnten, so konnten die Bewohner von Ars zu ihnen sprechen wie einst die Samariter zur Samariterin: „Wir glauben nicht mehr um deiner Rede willen, denn wir haben ihn selbst gesehen.“ (Joh. 4, 42.)
Leider sind aus den ersten Jahren seines Apostolats viele einzelne Züge mit den Personen, denen sie allein bekannt waren, zu Grabe getragen worden. Doch sind, Gott sei Dank, einige erhalten geblieben, um die segensreiche Laufbahn eines der vorbildlichsten Priester unseres Jahrhunderts zu schildern.
Das Feld, das der Hausvater ihm zur Bestellung zugewiesen hatte, war klein, doch es schien ihm dennoch über seine Kräfte zu gehen. Trotzdem war er, auf Gottes Beistand vertrauend, entschlossen, treu bei seiner Herde auszuharren und dort seine Leiden und Freuden zu finden. Letztere sollten ihm jedoch erst später zuteilwerden. Denn damals war Ars keineswegs so wie heute. Auch dort war der Einfluss der schrecklichen, trost- und glaubenslosen Zeit der Revolution noch spürbar. Die Jugend dachte nur an Vergnügen und Unterhaltung, und fast alle vernachlässigten die Sorge um ihre Seele.
Dieser Zustand war unserem Pfarrer natürlich höchst schmerzlich. Die Erkenntnis, dass all sein Bemühen fast nichts fruchtete, kostete ihn Tränen. Er weinte über seine Pfarrkinder, wie einst der liebe Heiland über Jerusalem geweint hatte. Doch der Schmerz über diese Tatsache machte ihn nicht mutlos. Er hoffte, durch Gebet und Seeleneifer doch noch zum Ziel zu kommen. Er verdoppelte seine Gebete, ohne dabei seine anderen priesterlichen Pflichten zu vernachlässigen. Die Fürsten der Erde regieren große Reiche, der Pfarrer aber muss die Seelen regieren, sie durch Belehrung, Tröstung und Reinigung von den Schlacken der Sünde heiligen. Diese hohe Aufgabe des Priesters hatte Vianney wohl erkannt, und um sie zu erfüllen, nutzte er die beiden wirksamsten Mittel: das Gebet und die Predigt. Durch die Predigt sprach er zu den Menschen über Gott, durch das Gebet sprach er mit Gott über die Menschen.
Wie eifrig er sich dem Gebet widmete, haben wir bereits angedeutet. Doch auch das andere Mittel, die Predigt, vernachlässigte er keineswegs. Alle seine freie Zeit nutzte er zum Studium seiner Predigten und scheute keine Mühe, um das Wort Gottes in ansprechender und eindringlicher Weise zu verkünden. Belehrt durch das Beispiel der großen Kirchenlehrer, die sich zur Vorbereitung ihrer Verkündigung in die Einsamkeit zurückzogen, schloss er sich oft lange in die Sakristei ein, um seine Predigten zu schreiben, sie auswendig zu lernen und sich im Vortrag zu üben.
Außer dem Apostolat der Kanzel hat der eifrige Priester noch andere Gelegenheiten, sein heiliges Amt zu üben, und zwar durch Unterredungen mit seinen Pfarrkindern, durch Besuche, die er ihnen zuweilen abstattet, durch Krankenbesuche und dergleichen. Unser Pfarrer hatte vollkommen erfasst, welch wirksames Mittel zur Förderung der Pflichten eines Seelsorgers in diesem Verkehr mit seinen Pfarrkindern lag. Sobald er daher in Ars angelangt war, musste er alle seine Pfarrkinder sehen und kennenlernen; alle erfreute er daher mit seiner Gegenwart. Er suchte, allen alles zu werden, um sie für Christus zu gewinnen. Deshalb ergriff er jede Gelegenheit, um jedem Einzelnen seine Achtung und Liebe sowie den Eifer für sein Seelenheil zu beweisen – und dies in so hohem Maße, dass jeder Einzelne glauben musste, der Pfarrer liebe nur ihn. Gegen alle war er freundlich und gesprächig, selbst jedem Kinde auf der Straße lächelte er zu und sprach einige liebevolle Worte zu ihm. Dabei zeigte jedoch sein ganzes Wesen, dass er stets seiner priesterlichen Würde eingedenk war. Wenn er seine Pfarrkinder besuchte, wählte er gerne die Essenszeit, um die ganze Familie vereint zu finden. Unvermutet trat er ein, gab allen ein entschiedenes Zeichen, fortzufahren, erkundigte sich dann nach den Familienangelegenheiten und fand bald einen Übergang zu einem religiösen Gespräch, dessen Inhalt meist dem Leben der Heiligen entnommen war. Alle hörten ihm gerne zu. Wenn er wieder ging, hatte er nicht nur erfreut, sondern auch belehrt, getröstet und im Guten bestärkt.
Es möchte hier wohl am Platz sein, einer Persönlichkeit zu gedenken, die sowohl durch ihre hohe Stellung als auch durch ihre vorzüglichen Eigenschaften gleich von Anfang an den Pfarrer von Ars mächtig in seinem frommen Bestreben unterstützte und ihm eine reiche Quelle des Trostes wurde. Es war dies die Gräfin von Ars, Tochter des früheren französischen Garde-Offiziers Graf Louis Garimar von Ars. Jetzt war sie sechzig Jahre alt und wohnte auf dem Schloss ihrer Ahnen. Von frommen christlichen Eltern erzogen, lernte sie schon auf dem Schoß der Mutter die innigste Frömmigkeit, die Liebe zu Gott und zu allem, was gut und edel ist. Diese frommen Blüten des kindlichen Charakters entwickelten sich im königlichen Hause von St. Cyr, wo sie ihre Erziehung erhielt. Bei ihrem Austritt aus dem Pensionat konnte man sie bereits als vollendete Christin bezeichnen, und im Alter, in dem wir sie hier treffen, hatten diese Eigenschaften längst ihre volle Reife erlangt.
Fräulein von Ars war klein, aber anmutig und lebendig. Mit einem einfachen, ungezwungenen, aber edlen Äußeren verband sie einen scharfen, feinen und zarten Geist. Sprach sie von den Tagen der Vergangenheit, so war es eine Freude, ihr zuzuhören – so frisch und lebendig wusste sie alles darzustellen. Ihr Charakter blieb sich immer gleich: voller Herzensgüte und Nachsicht gegenüber anderen. Wie sie sich stets zeigte, machte ihre Frömmigkeit den tiefsten Eindruck und erzwang unbewusst allgemeine Hochachtung. Mit einem Wort: Sie war eine jener christlichen Frauen, deren Anblick dem Herzen wohl tut, es erfrischt und zur Tugend und Frömmigkeit anspornt.
Dabei war sie eine ausgezeichnete Hausfrau. Sie ließ es sich angelegen sein, die Traditionen der früheren, glaubensvollen Jahrhunderte in ihrem Hause fortbestehen zu lassen. So wehte in ihrem Schloss noch der wohltuende Geist echter christlicher Zucht und Sitte. Obwohl sie ihrer Geburt und Erziehung gemäß den höchsten Kreisen der Gesellschaft angehörte, führte sie dennoch ein einfaches Leben und teilte ihre Zeit zwischen Arbeit und den Übungen christlicher Frömmigkeit und Liebe. Der Welt war sie ganz entfremdet und lebte wie im Kloster. Am Morgen war sie die Erste, die sich vom Lager erhob, sammelte dann alle ihre Dienstboten um sich und betete mit ihnen. Anschließend ging sie jeden Tag in Begleitung eines alten, treuen Dieners zur heiligen Messe, und obwohl die Pfarrkirche eine Viertelstunde entfernt war, unterließ sie dies bei keinem Wetter und zu keiner Jahreszeit. Als einst Vianney sie mitten durch den Schnee kommen sah, hatte er Mitleid mit ihr und sagte: „Fräulein, Sie sollten unbedingt einen Wagen haben.“ Worauf sie erwiderte: „Ich habe genau berechnet, was dies kosten würde, und versichere Ihnen, dass dann eine bedeutende Summe den Armen entgehen würde.“
Der Tag verlief sodann unter Arbeit und Gebet. Jedem der Dienstboten wies sie selbst die Arbeit an, und abends wurde das Tagewerk wiederum mit Gott beschlossen.
Schloss Ars war die Zufluchtsstätte aller Unglücklichen, Trost und Hilfe wurden ihnen dort in reichem Maße gespendet. Um nun aber ihre Wohltaten in möglichst hohem Grade spenden zu können, hatte sie ihr ganzes Hauswesen auf das Einfachste geregelt; den dadurch ausfallenden bedeutenden Überschuss verwendete sie nur zu Werken der christlichen Barmherzigkeit. Indessen beschränkte sie sich nicht darauf, zu geben, sondern sie nahm sich auch persönlich der Armen an. Sie kannte alle armen Familien der Umgebung, besuchte und pflegte sie mit der größten Sorgfalt.
Man wird, nachdem wir so in kurzen Worten diese fromme Dame geschildert haben, es begreiflich finden, dass sie die Erste war, die „den heiligen Pfarrer“, wie sie ihn zu nennen pflegte, gleich anfangs nach seinem vollen Wert zu würdigen wusste und Gott dankte für die der Gemeinde verliehene Gnade.