Johann Baptist Maria von Vianney, Pfarrer von Ars - zweites Buch. Vianneys Leben als Pfarrer. Vom Beginn seines Pfarramtes bis zum Beginn der Pilgerfahrten nach ars. 1818-1825.



Siebentes Kapitel: Die Tugenden in der Providence. Katechesen, di in derselben gehalten wurden.



Bei der Gründung der Anstalt hatte der Pfarrer von Ars den Zweck im Auge gehabt, armen, verlassenen Mädchen eine Zufluchtsstätte zu bieten; daher sollte alles frei dort sein. Nur im Anfang gestattete er einigen Eltern, ihre Kinder gegen Vergütung in die Anstalt zu senden, das dauerte aber nicht lange; später ließ er nur Waisenkinder zu. Besonders beklagenswert fand er das Los derer, die schon früh, oft vor den Jahren der Unterscheidung, in den Straßen herumbetteln müssen, preisgegeben allen Verführungen des Bösen. Mit innigem Mitleid sah er diese unglücklichen Geschöpfe aufwachsen in Gottvergessenheit, in der Schule des Lasters, und sein für Gott und Menschen liebeflammendes Herz wollte diesen Unglücklichen Schutz und Rettung bieten. Auch setzte er keine bestimmte Anzahl der Aufzunehmenden fest, sondern nahm alle, die Aufnahme begehrten, und unter diesen waren ihm die ärmsten und verlassensten die liebsten. Auch junge Mädchen von fünfzehn bis zwanzig Jahren, die bisher in gänzlicher Unkenntnis ihrer Pflichten gelebt hatten, suchte er um sich zu sammeln, um diesen verirrten Schäflein den Weg des Heils zu zeigen. Gerade unter dieser Klasse erzielte er die schönsten Früchte. Fast alle baten um die Erlaubnis, eine Generalbeichte ablegen zu dürfen, nachdem sie einige Zeit in der Anstalt gelebt und dem Unterrichte des Pfarrers beigewohnt hatten.

Die kleinen Mädchen nahm er mit dem sechsten Jahre auf; diese blieben dann so lange, bis sie soweit ausgebildet waren, dass sie sich ihr Brot selbst verdienen konnten; immer aber mussten sie schon die erste heilige Kommunion empfangen haben. Dann suchte man einen Dienst für sie bei gewissenhaften Herrschaften, wo man erwarten durfte, dass sie ein Leben nach dem in der Anstalt herrschenden Geiste führen könnten. Die jüngsten durften indes nur zur Sommerzeit dienen; im Winter mussten sie wiederum in die Anstalt zurückkehren, um sowohl ihre Gesundheit zu stärken, als auch sich in der Tugend zu begründen. Erst mit achtzehn Jahren wurden sie der Welt ganz übergeben. Von Zeit zu Zeit durften sie ihren Wohltäter besuchen, der sie dann ermahnte und im Guten zu befestigen suchte. Zeigten einige seiner Kinder Verlangen, sich dem Herrn zu weihen, so sorgte Vianney dafür, dass sie ein passendes Kloster wählten, bestritt aus seinen eigenen oder aus den Mitteln der Anstalt ihre Mitgift, die Kosten der Reise, der Einkleidung und des Noviziates. Ebenso sorgte er auch für jene, dass sie in jeder Beziehung christliche Hausfrauen wurden.

Man kann sich leicht denken, dass die Leitung einer solchen Anstalt ungemein schwierig war, da hier die verschiedenartigsten Elemente zusammenkamen, mitunter gefährliche und ziemlich verkommene Subjekte; allein die Lehrerinnen verstanden es unter der ausgezeichneten Leitung ihres Pfarrers, ihre schwere Aufgabe zu lösen, und auch hier zeigte sich, wie so oft im Leben, die Macht der Tugend. Zwar gab es auch hier einige missratene Zöglinge, aber in verschwindend kleiner Anzahl, sodass Vianney zu sagen pflegte: „Erst am letzten Gerichtstage wird man die Früchte erkennen, die diese Anstalt getragen hat.“

Hatte er von Gott eine besondere Gnade zu erlangen, so forderte er seine Pflegbefohlenen zum Gebet auf, und er war der Erhörung sicher. Es würde uns zu weit führen, den Geist der Anstalt noch weiter zu erörtern; wir begnügen uns damit zu bezeugen, dass sie ganz vom Geiste ihres heiligen Stifters beseelt war. Es herrschte in derselben ein Ton, der sehr verschieden war von dem in so vielen andern Anstalten oder Schulen, wo alle Gedanken und alle Bestrebungen meistens nur auf dieses Leben gerichtet sind; wo die Kinder höchstens morgens und abends daran erinnert werden, dass es noch etwas Höheres gibt, als dieses armselige Erdenleben. Hier in Ars dagegen war alles vom Glauben geregelt, und durch den Gedanken an die Allgegenwart Gottes geheiliget und beseelt.

Der Unterricht beschränkte sich auf Lesen, Schreiben, Rechnen und die Beschäftigungen, wodurch sie für ihre dereinstige Bestimmung befähigt wurden. Alles, was sie lernten, wurde gründlich durchgenommen, daher gingen aus dieser Anstalt gute Dienstboten, treffliche Hausmütter hervor, die sich durch Frömmigkeit, Einfachheit und Bescheidenheit auszeichneten, und eben darum so sehr geeignet waren, die Pflichten des Weibes nach dem Willen Gottes zu erfüllen, und ein Segen für alle zu werden, die sie umgaben.

Die Providence ging in jeder Hinsicht ihre eigenen Wege; die Kinder trugen keine Uniform; jedes Mädchen trug die Kleidung, die sie mitgebracht hatte. Man aß Schwarzbrot, schlief auf Stroh, alles war einfach und ärmlich. In dem kleinen, zum Hause gehörigen Garten war alles Land nur mit Gemüse bebaut, nicht einmal Obstbäume duldete der Pfarrer, nachdem er bemerkt hatte, dass das Obst eine Verführung für seine Kinder werden könne. Die heilige Armut, diese Lieblingstugend unseres Pfarrers, war somit auch seinem Werke aufgedrückt. Es war rührend zu sehen, wie nicht nur die Lehrerinnen, sondern auch die Zöglinge die Güter dieser Welt gering achteten, nichts von menschlicher Hilfe erwarteten, sondern ihr ganzes Vertrauen auf die göttliche Vorsehung setzten. Diesen Gesinnungen entsprach nun auch die Andacht der Zöglinge und ihr frommer Eifer. Wie strahlte ihr Antlitz vor Freude, wenn der Pfarrer zuweilen unverhofft in den Schulzimmern erschien, um von dem lieben Gott mit ihnen zu sprechen; Auge und Ohr hingen an den Lippen ihres teuren Vaters, und die kräftigsten Vorsätze und heilsamsten Entschlüsse waren gewöhnlich die Früchte dieser Unterredungen.

An den Sonntagen und Donnerstagen fand die Anbetung des Allerheiligsten Sakramentes statt, und die Zöglinge wechselten sich nicht nur tagsüber, sondern auch in der Nacht ab, um ihre Anbetung zu halten. Dabei legten sie sich auch äußere Abtötungen auf, wie es in einem gut geregelten Kloster üblich ist.

Mehrere dieser armen Mädchen sind eines schönen, wunderbar frommen Todes gestorben. Eine von ihnen, die früher sehr vor dem Tod gefürchtet hatte, sagte am Vorabend ihres Todes: „Ich leide körperlich viel, aber innerlich bin ich sehr zufrieden. Ich habe nicht geglaubt, dass mir das Sterben so leicht wäre! Welch ein Glück besiegen wir in unserer heiligen Religion.“ Sie ließ sich vorsingen und sang, so lange sie konnte, selbst mit.

Auch eine der Gründerinnen, Benedikta Lardet, starb eines sehr schönen Todes. Als ihre Schwester sie besuchte und in Tränen zerfloß, sprach sie zu ihr: „Du hast allen Grund, dich zu trösten. Möchtest du denn, dass ich auf dieser Welt bleiben soll, mit der ich mich nicht befreunden kann?“ Als auf ihre Anfrage der Arzt ihr erklärte, dass ihre Krankheit tödlich sei, rief sie freudig aus: „O, welch ein Glück! Ich soll also den lieben Gott sehen!“ Zwei Tage später war ihr Wunsch erfüllt.

In dieser Anstalt hielt Vianney während mehr als dreißig Jahren die schönen Katechesen, welche die Menge so fesselten und seinen wohlverdienten Ruf begründen halfen. Diesen Unterricht erteilte er alle Nachmittage eine Stunde lang. Er behandelte darin den ganzen Umfang der Glaubens- und Sittenlehren und tat dies in einer Art und Weise, dass alle, sowohl die Fremden, die sich sehr zahlreich einfanden, als auch die Kinder, Stoff zum Nachdenken hatten. Es wäre eine schwere Aufgabe, diese Katechesen wiederzugeben. Einige davon wurden von Catharina Lassagne niedergeschrieben, aus diesen wollen wir dem Leser einzelne Stellen anführen:

„Welche Freude für den Schutzengel, der eine reine Seele leiten muss!... Meine Kinder, wenn eine Seele rein ist, so blickt der ganze Himmel mit Liebe auf sie herab. Die reinen Seelen werden um den lieben Heiland einen Kreis schließen. Je reiner wir auf Erden gewesen sind, desto näher werden wir im Himmel bei ihm stehen. Wenn das Herz rein ist, so kann es sich der Liebe nicht erwehren, denn es hat die Quelle der Liebe, Gott, gefunden.“

„Seht, meine Kinder, unser Heiland ist mit Dornen gekrönt worden, um unsere Sünden des Stolzes zu sühnen; aber für die scheußliche Sünde der Unreinigkeit ist er gegeißelt und in Stücke zerrissen worden, da man, wie er selbst sagt, nach der Geißlung hätte alle seine Gebeine zählen können. O meine Kinder, gäbe es dagegen nicht einige reine Seelen, um den lieben Gott zu entschädigen und seine Gerechtigkeit zu entwaffnen, ihr würdet sehen, wie er uns strafen würde.“

„Der Stolz ist die hässliche Sünde, welche die Engel aus dem Paradies verstoßen und in die Hölle gestürzt hat. Sie begann mit der Welt.“

„Eine stolze Person glaubt, alles, was sie tut, sei gut getan. Sie will über alle, die mit ihr zu tun haben, herrschen; sie hält ihre Meinung immer für besser als die der anderen. Eine demütige Person hingegen sagt, wenn sie gefragt wird, ihre Meinung und dann lässt sie andere sprechen. Mögen die dann Recht oder Unrecht haben, sie sagt nichts mehr.“

„Wahrhaftig! Dächten die Sünder an die Ewigkeit, an dieses schreckliche ‚Immer‘, sie würden sich sofort bekehren! Über fünftausend Jahre brennen manche schon in der Hölle, und alles ist noch immer so, wie sie hineingekommen sind.“

„Meine Kinder! Warum haben die anderen Religionen keine Sakramente? Darum, weil in ihnen kein Heil zu finden ist. Uns dagegen, die wir in der Religion sind, welche allein selig machen kann, stehen Sakramente zur Verfügung. Wir müssen dafür dem lieben Gott von ganzem Herzen danken, denn die Sakramente sind die Quellen unseres Heils.“

„Wenn die Seele eines Christen, der den Leib des Herrn empfangen hat, in den Himmel eintritt, so wird sie die Freude des Paradieses vermehren. Die Engel und die Königin der Engel kommen ihr entgegen, denn sie erkennen den Sohn Gottes in dieser Seele.“

„Alle guten Werke vereint erreichen nicht den Wert einer heiligen Messe. Jene sind Werke von Menschen, diese ist das Werk Gottes.“

„Wie groß ist ein Priester! Begiffe er sich selbst, er stürbe. Gott gehorcht ihm; er spricht zwei Worte und unser Heiland steigt vom Himmel hernieder und verbirgt sich unter der Gestalt einer kleinen Hostie.“

„Mensch, wie bist du so groß! Gespeist und getränkt wirst du mit dem Fleisch und Blute eines Gottes. Welch‘ ein wonniges Leben, dieses Leben der Vereinigung mit Gott! Es ist der Himmel auf Erden!“

„Unser Herr und Heiland ist im hochheiligen Sakrament verborgen und wartet darauf, dass wir kommen, ihn zu besuchen und ihm unsere Bitten vorzutragen. Er ist dort, um uns zu trösten. Oft müssen wir ihm da einen Besuch abstatten. Wie oft könnten wir uns nicht unseren oft so unnützen Beschäftigungen entziehen, um ihn dort betend zu besuchen, ihn zu trösten für die vielen Beleidigungen, die er erdulden muss! Wenn wir vor dem Allerheiligsten Sakrament knien, schließen wir lieber Aug’ und Mund, öffnen wir unser Herz, und Gott wird auch das Seine öffnen. Wir gehen zu ihm, er kommt zu uns, der eine, um zu bitten, der andere, um zu empfangen.“

„Sobald man einen kleinen Flecken an der Seele hat, muss man es machen wie eine Person, die eine schöne Kristallkugel hat, die sie sorgfältig aufhebt. Sobald sie an dieser Kugel ein wenig Staub bemerkt, wischt sie ihn mit einem Schwamm ab. Da ist die Kugel wieder klar und glänzend. So auch ihr, meine Kinder! Sobald ihr einen kleinen Flecken an eurer Seele merkt, nehmt gleich mit Eifer Weihwasser und verrichtet irgendein gutes Werk, womit Nachlassung lässlicher Sünden verbunden ist.“

„Wer kann die Güte Gottes begreifen, dass er dieses große Sakrament der Buße eingesetzt hat! Hätten wir vom Herrn eine Gnade zu erflehen gehabt, so würden wir wohl nie daran gedacht haben, ihn um diese zu bitten. Er hat aber unsere Schwäche und Unbeständigkeit im Guten vorhergesehen, und seine Liebe hat ihn zu tun vermocht, was wir nicht zu erflehen gewagt hätten.“

„Eine der Kardinaltugenden ist die Mäßigkeit. Sie besteht in der Zügelung unserer Einbildungskraft, in der Abtötung der Sinne.“

„Wie liebe ich jene kleinen Abtötungen, die niemand sieht, z. B. eine Viertelstunde früher aufstehen, sich in der Nacht nur einen Augenblick zum Gebet erheben, sich eine Frucht versagen, die Augen zuweilen schließen usw.“

„Wir wollen wohl in den Himmel kommen, aber mit all unseren Bequemlichkeiten, ohne auch nur eine Unannehmlichkeit übernehmen zu wollen.“

„Wodurch gelangen wir zur Kenntnis unserer Religion? Durch den christlichen Unterricht, den wir gehört haben. Was gibt uns Abscheu vor der Sünde? Was lässt uns die Schönheit der Tugend erfassen? Was gibt uns Sehnsucht nach dem Himmel? Dieser Unterricht. Was lehrt die Eltern die Pflichten gegen ihre Kinder, die Kinder die Pflichten gegen ihre Eltern? Dieser Unterricht. Aber warum ist man so unwissend und so blind? Weil man so wenig aus dem Wort Gottes macht. Es gibt viele, die kein einziges ‚Vater unser‘ und ‚Gegrüßet seist du Maria‘ beten, um von Gott die Gnade zu erlangen, das Wort Gottes zu hören.“

Aus diesen wenigen Worten, die nur auf’s Geradewohl ausgewählt sind, kann man schließen, wie mannigfaltig und allumfassend seine Belehrungen gewesen sein mögen.

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