Zweites Hauptstück - Der Leib der heiligen Filomena wird nach Mugnano übertragen

1 . Dem Priester Francesco de Lucia wird zu Rom der Leib der heiligen Filomena geschenkt.
Im Jahre 1805 kam Francesco de Lucia, ein eifriger und frommer Priester von Neapel, nach Rom mit Bartolomeo de Cesare, der vom Papst zum Bischof von Potenza ernannt war. Francesco hatte einen lebhaften Wunsch, für seine Hauskapelle zu Mugnano einen heiligen Leib zu bekommen; er wünschte aber, es sollte der Leib eines Heiligen oder einer Heiligen sein, der einen eigenen Namen hätte. Der Bischof von Potenza unterstützte die Bewerbung des Francesco; deswegen war dieser so glücklich, bald nach seiner Ankunft in Rom in den Saal geführt zu werden, wo die köstlichen Überreste von Heiligen aufbewahrt werden. Man überließ es ihm, sich nach Belieben einen heiligen Leib zu wählen. Als er in die Nähe der Gebeine der heiligen Filomena kam, fühlte er plötzlich eine außerordentliche Freude, die selbst auf seinem Angesicht so leuchtete, dass Ponzetti, der Reliquien-Verwahrer, darüber erstaunte. Alle Wünsche des Francesco waren nun auf die heiligen Gebeine der Filomena gerichtet; von einer unwiderstehlichen Macht angezogen, zog er dieselben allen anderen vor, ohne dass er den Grund dieser seiner Wahl anzugeben wusste. Er wagte es aber nicht, seine Wahl zu äußern, aus Furcht, eine abschlägige Antwort zu erhalten. Da sagte aber der Reliquien-Verwahrer aus eigenem Antriebe zu ihm, er habe an ihm seine Vorliebe für die heilige Filomena bemerkt, und wolle sie ihm gern überlassen; er setzte noch die denkwürdigen Worte hinzu, er sei überzeugt, die Heilige wolle in sein Vaterland kommen, um da selbst große Wunder zu wirken. Diese Worte erfüllten das Herz des Francesco mit Trost, und er dachte weiter an nichts, als Anstalt zu treffen, diesen heiligen Leib übertragen zu lassen.
Schon gab man den Auftrag, dem Francesco noch an demselben Tage den heiligen Leib zu übergeben. Aber dieser Tag und die zwei folgenden Tage verstrichen, ohne dass dem Francesco das Versprechen erfüllt wurde. Nun fing er an, zu befürchten, der Reliquien-Verwahrer wolle ihm den heiligen Leib verweigern. Diese Furcht war eben nicht unbegründet; denn es war in Rom nicht gebräuchlich, einen ganzen heiligen Leib, der einen eigenen Namen hat, an einzelne Personen zu überlassen, da zu dieser Zeit bei dem jährlichen Nachgraben nur sehr wenige heilige Leiber dieser Art gefunden wurden; deshalb wurden solche Leiber nur Bischöfen oder für Kirchen hergegeben. Wirklich ließ der Reliquien-Verwahrer Ponzetti dem Francesco sagen, es sei ihm nicht möglich, sein Versprechen zu halten, und er gestatte ihm dagegen, sich einen aus den zwölf heiligen Leibern, die keine eigenen Namen haben, zu wählen. Francesco war nun in großer Verlegenheit, zumal, da er schon alle Anstalten für die Übertragung der Filomena gemacht und deshalb Briefe nach Neapel und Mugnano geschrieben hatte. Noch andere Umstände vermehrten seine Verlegenheit; und schon bei dem Gedanken an eine andere Wahl, als die der heiligen Filomena, geriet er in Bestürzung. Er wagte es nicht, noch einmal um diesen heiligen Leib zu bitten. Aber Gott fügte es, dass ihm kurz darauf dieser heilige Leib in Verwahrung gegeben und vollends zum Eigentum geschenkt wurde.
2 . Filomena wird nach Neapel übertragen
Nun beschlossen Francesco und der Bischof von Potenza, dass die Kästchen, in denen sich die heiligen Reliquien befanden, auf der anständigsten Stelle ihres Reisewagens sein sollten, damit die Gegenwart der Reliquien sie zur Andacht antreibe und zur Verehrung derselben. Aber bei der Abreise waren die zwei Herren durch Verschiedenes so sehr in Anspruch genommen, dass sie auf ihren Vorsatz, die Reliquien auf die anständigste Stelle des Reisewagens legen zu lassen, nimmer dachten; und die Leute, die beauftragt waren, das Reisegepäck auf den Wagen zu bringen, legten die Reliquien-Kästchen in den Sitzkasten, auf welchen der Bischof von Potenza zu sitzen kam. Als sie von Rom abfuhren, verspürte der Bischof einige Stöße an seinen Füßen; sein Schmerz war umso größer, da seine Füße wegen der vielen Feuchtigkeit, die sich in ihnen angesetzt hatte, leidend waren. Erschrocken sprang er auf, und ohne weiter nachzudenken, beklagte er sich über den Führer, dass er die Reliquien-Kästchen nachlässig auf den Wagen geworfen und nicht gehörig befestigt habe; denn er meinte, die Reliquien-Kästchen haben mit solcher Gewalt an seine Füße gestoßen. Der Führer erwiderte ihm: »Wie ist das möglich? Herr, Sie sehen ja selbst, dass die Kästchen, von denen Sie reden, im hinteren Sitzkasten eingeschlossen sind, und folglich Sie unmöglich belästigen können.« Hierauf stieg der Führer in den Wagen, hob den Deckel des Sitzkastens, in dem sich die Reliquien-Kästchen befanden, auf, und zeigte ihm, wie dieselben geordnet waren; der Bischof überzeugte sich, dass sie sich nicht bewegen konnten.
Man setzte die Reise fort; aber der Bischof fühlte neuerdings ebenso starke und weit schmerzlichere Stöße, als zuvor. Er wiederholte dieselbe Klage, und befahl, dass man die Reliquien-Kästchen sogleich anders wohin stelle; denn er meinte, ihre Bewegung verursache sein Leiden; als man ihn zufriedenstellen wollte, sah er aber wohl selbst ein, seine Füße seien allzu weit von dem Sitzkasten entfernt, als dass er denken sollte, die Stöße kommen von den Reliquien-Kästchen her; und er setzte sich wieder nieder, ohne seinen Befehl vollziehen zu lassen. Aber dieselben Stöße und Schmerzen wiederholten sich zum dritten Mal, und zwar so gewaltig, dass der Bischof die Reliquien-Kästchen aus dem Sitzkasten tun ließ, indem er sagte: »Und wenn ich sie bis nach Hause in meinen Armen tragen müsste, so müssen sie von hier hinweg.« Man tat nun, was er verlangte, und legte die Reliquien-Kästchen in den Vorderteil des Wagens. Von diesem Augenblick an wurde der Bischof nicht mehr belästigt. Weder der Bischof noch seine Reisegesellschaft, noch jemand aus dem Gefolge begriff, woher die Stöße sollten gekommen sein. Als sie aber später die Umstände reifer überlegten, und sich erinnerten, wie man am Vorabend der Reise sich vorgenommen habe, die Reliquien-Kästchen an der anständigsten Stelle des Wagens anzubringen, sahen sie erst jetzt ein, auf wunderbare Weise seien die Stöße von den Reliquien der Filomena hergekommen, weil man jenen Vorsatz nicht gehalten habe. Daher (ver)demütigten sie sich; und besonders der Bischof bat mit entblößtem Haupt und mit Tränen in den Augen die Heilige um Vergebung, und küsste ihre Reliquien mit tiefster Ehrfurcht und innigster Andacht.
Auf der Fahrt von Sessa nach Kapua hatten die Reisenden eine große Gefahr zu bestehen, die ihnen bald das Leben gekostet hätte. Sie schrieben ihre Erhaltung der Fürbitte der heiligen Filomena zu.
Nach der Ankunft zu Neapel wurden die Reliquien in das Haus des Antonio Terres gebracht. In seiner Hauskapelle wurden die Reliquien-Kästchen zum ersten Mal eröffnet; und nachdem alle Zeremonien oder heiligen Gebräuche, die bei solchen Gelegenheiten üblich sind, beobachtet worden, brachte man die heiligen Gebeine in eine zweckmäßige Ordnung. Hierauf bedeckte man dieselben mit einer aus gepresstem Papier gebildeten weiblichen Gestalt, deren innerer Raum mit diesen ehrwürdigen Reliquien ausgefüllt wurde. Die Kleider, mit denen man sie zierte, waren zwar nicht reich und kostbar, doch hatte ihre Einfachheit etwas Schönes und Zierliches an sich. Die Zierde von den Kleidern hob aber die Fehler nicht auf, welche die verfertigte weibliche Gestalt in den Gesichtszügen, in der Farbe und der Stellung hatte. Als all dies geschehen war, legte man den heiligen Leib in einen Reliquien-Kasten, der eigens dazu verfertigt worden war; die Tür dieses Kastens wurde verschlossen, und von der geistlichen Behörde versiegelt.
3. Filomena wird in einer Kirche zu Neapel zur Verehrung ausgestellt.
Von dieser Zeit an begann die öffentliche Verehrung der heiligen Filomena. Von allen Seiten strömten die Gläubigen herbei zu dem heiligen Leibe. Da man nun aber sah, dass die Hauskapelle für die Volksmenge zu klein sei, so übertrug man die Reliquien in eine Kirche zu Neapel; in dieser Kirche blieben sie drei Tage nach einander auf dem Altare Unserer lieben Frau von der Gnade ausgesetzt. Aber so groß auch der Zulauf des Volkes in diese Kirche nun war, und so großer Eifer in Verehrung der heiligen Filomena sich da zeigte, so vergingen dessen ungeachtet die drei Tage, ohne daß etwas Wunderbares geschah; über diesen Umstand staunten die Gläubigen sehr; denn man erwartete Wunder. — Man brachte die Reliquien in die Hauskapelle zurück; der Pfarrer von Sankt Angelo, seine Geistlichkeit und die Gemeinde sagten aber öffentlich, wenn in ihrer Kirche Filomena ein einziges Wunder gewirkt hätte, so würden sie Alles aufgeboten haben, daß die heilige Filomena nicht aus der Kirche wäre entfernt worden.
In der Hauskapelle aber begann Filomena, durch Wunder zu leuchten. Das erste Wunder geschah an der Frau Angela Rosa, der Gemahlin des Antonio Terrasi: sie hatte seit zwölf Jahren an einer unheilbaren Krankheit gelitten; das Gebet, das sie zu Filomena verrichtete, wurde durch gänzliche Genesung gekrönt; und aus Dankbarkeit widmete sie der Heiligen einen kostbaren Kelch. Das zweite Wunder geschah an einem Advokaten oder Rechtsbeistand, Namens Michael Ulpicella: dieser mußte sechs Monate lang wegen heftiger Lendenschmerzen das Zimmer hüten; da ihm keine ärztliche Hilfe von seinem Uebel befreien konnte, ließ er sich in jene Hauskapelle tragen, in der die Reliquien der heiligen Filomena waren; und er ging vollkommen gesund aus der Kapelle nach Hause. Das dritte Wunder geschah an einer vornehmen Frau: sie hatte an einer Hand ein Geschwür bekommen, und bald gewahrte man Kennzeichen eines Krebsübels; schon war man entschlossen, ihr die Hand abzunehmen: da brachte man ihr eine Reliquie der heiligen Filomena; sie legte dieselbe Abends auf die Wunde, und schlief ein; des andern Tages in der Früh, als der Wundarzt kam, um den kranken Theil der Hand abzunehmen, fand er, daß der Krebs ganz verschwunden war.
Aus dem Umstande, daß Filomena in jener Kirche keine Wunder wirkte, wollte man vermuthen, Gott wolle nicht, daß die volkreiche prächtige Stadt Neapel, sondern die kleine Stadt Mugnano, wo Francesco seine Stelle hatte, sie besitzen sollte. Es wurde der Entschluß gefaßt, dieselbe nach Mugnano zu übertragen.
4. Man überträgt den heiligen Leib der Filomena nach Mugnano.
Zwei starke Männer kamen aus Mugnano nach Neapel, um die heiligen Ueberreste der Filomena abzuholen; sie sagten, ihre Landleute seien mit Ungeduld der Ankunft dieses himmlischen Schatzes entgegen. Deswegen beeilte man sich, ihrem Wunsche zu willfahren. Um die gute Frau Gemahlin des Antonio Terrasi zu trösten und ihre Gastfreundschaft gewisser Maßen zu belohnen, hinterließ der Priester Francesco ihr den Schlüssel zu dem Reliquien-Kasten. Und begleitet von Segenswünschen und Thränen dieser frommen Familie, reiste er nach Mugnano ab.
Seit mehreren Monaten hatte es in der Gegend von Mugnano immer geregnet, und große Dürre herrschte im Lande. Als das Volk um die Mittags.zeit am Tage vor der Ankunft des heiligen Leibes das fröhliche Glockengeläute von allen Kirchthürmen hörte, sprach es, von Freude und Hoffnung entzückt, „O, wenn doch diese neue Heilige unsre Ehrfurcht und Liebe, die wir gegen sie tragen, mit günstigen Augen ansehen wollte, könnte sie uns durch ein leichtes Mittel in unserm Vertrauen bestärken; denn sie dürfte uns nur einen reichlichen Regen schicken zur Erfrischung unserer Felder.“ — Das Glockengeläute war noch nicht verhallt, als sich schon der erwünschte Regen auf die Felder von Mugnano und der ganzen Umgebung ergoss; von allen Seiten her rief deswegen das freudentrunkene Volk: „Gelobt sei Gott! Gelobt sei die Heilige!“
Der heilige Leib näherte sich immer mehr; doch hatten die Ueberträger viele Hindernisse. Einer von ihnen war am vorhergehenden Tage erkrankt; nur mit großer Anstrengung konnte er den andern folgen, ohne ihnen selber zu helfen zu können. Der Priester Francesco sagte zu ihm: „Fasse Muth, mein Freund; habe Vertrauen zu der Heiligen; unterziehe dich auch der Last, wie die anderen, und du wirst gesund werden.“ — Der gutmüthige Mann gehorchte; und auf der Stelle verschwand sein Schmerz und seine Schwäche; er hatte jetzt seine vorige Stärke wieder, und mit frommer Heiterkeit griff er die Last auf und schritt vorwärts; und wiederholte fast bei jedem Schritte die Worte: „Ah, wie leicht ist die Heilige! So leicht wie Feder ist sie; man fühlt keine Last.“ — Und dem war wirklich so; aus Andacht trug auch Francesco eine Zeit lang die Heilige, und staunte über ihre Leichtigkeit.
Inzwischen verfinsterte sich der Himmel immer mehr; und den Trägern des Filomena drohte ein starker Regenzug. Sie hatten keine Lichter bei sich, da sie, als sie am Abend von Neapel abreisten, auf das Mondlicht gerechnet hatten. In ihrer großen Verlegenheit rief die fromme Reisegesellschaft mit Eifer die Heilige an. Da bildete sich plötzlich in der Luft eine Lichtsäule, die mit ihrem Fusse sich auf den Reliquien-Kasten herablies, und auf diesem ruhte bis zum Anbruche des Tages; während der Obertheil der Lichtsäule sich in die Wolken-Gegend sich erhob, und sowohl den Mond, als auch einige Sterne enthüllte, die um dieselbe eine Art Kreis zu bilden schienen.
Groß war die Freude der Träger, die sie über diese wunderbare Erscheinung hatten. Aber diese Freude wurde dadurch gestört, daß der Reliquien-Kasten plötzlich überaus schwer wurde. Sie waren eben im Begriffe, durch den Flecken Simitille, wo ehemals das alte Nola gestanden, zu gehen. — Dieser Ort ist berühmt durch den Märtyrthod des heiligen Sannarius. Die Träger fingen an, sich zu beklagen wegen der übergroßen Schwere des Reliquien-Kastens; sie fühlten unter der Last, die, wie sie sagten, sie beinahe erdrückte. Je näher sie zum Flecken Simitille kamen, desto schwerer wurde der Reliquien-Kasten; und sie mussten fast bei jedem Schritte stillhalten. Francesco suchte ihren Muth zu beleben; und sie strengten alle ihre Kräfte an, um vorwärts zu kommen. Als sie endlich in die Mitte des Fleckens Simitille kamen, sagten sie, es sei ihnen unmöglich, ihren Weg weiter fortzusetzen; und sie zeigten, wie ihre Schultern von dem Drucke der Last aufgeschwollen und verwundet waren. Die Verlegenheit war nun groß; es hatte schon die Mitternachtsstunde geschlagen, und wo sollte man Hilfe finden mitten in der Nacht? Den Anbruch des Tages abzuwarten, wollte sich aber Francesco nicht entschließen, weil dies alle gefassten Pläne gestört und die Feier des Empfangs verzögert hätte. Man entschloss sich daher, mit neuem Vertrauen auf Gott nun keine Anstrengung zu scheuen, um vorwärts zu kommen. Aber bald musste man wieder stillhalten. Endlich erschienen einige Bewohner von Mugnano; diese gesellten sich den erschöpften Trägern bei. Doch war ein so großer Kraftaufwand bald nicht mehr nötig; die Schwere ließ nach, und es erscholl der Freudenruf: „Wunder! Wunder! der Reliquien-Kasten ist wieder leicht geworden.“ Die guten Leute hatten nunmehr an die ausgestandene Mühefestigkeit, und fingen zu laufen an; mehr als tausendmal riefen sie aus: »Hochgelobt sei Gott! Hochgelobt sei die Heilige! Sie ist leicht wie eine Feder.«
Inzwischen graute es im Osten, und die Bewohner von Mugnano kamen, in kleine Truppen abgeteilt, immer näher. Von allen Seiten wiederhallten ihre frommen Lobgesänge. Schaaren von Kindern kamen herbei, mit Zweigen in den Händen; sie sprangen vor Freude um den Reliquien-Kasten, hoben ihre Hüte in die Höhe, wehten mit ihren Tüchern, und riefen ohne Unterlaß: »Hochgelobt sei die Heilige!« — So begann dieser Triumphtag. Aber nicht nur aus Mugnano, sondern auch aus allen benachbarten Ortschaften kam eine große Menschenmenge dem heiligen Leibe entgegen, und wuchs immer mehr und mehr an, so daß man sich genöthigt sah, still zu halten, um den frommen Eifer der Herbeigeeilten durch Vorzeigung der Reliquien zu befriedigen. Man befand sich gerade in der Nähe eines Landhauses, das einen sehr geräumigen Hof hatte. Dorthin strömte die herbeigeeilte Volksmenge, und Francesco bemühte sich, ihren frommen Wünschen zu willfahren. Aber in demselben Augenblicke, als er den heiligen Leib aufdeckte, und das Volk, von Verwunderung entzückt, ausrief: »O Himmel, wie ist sie doch so schön! o welch eine paradiesische Schönheit!« — begann in dem geräumigen Hofe, wo die Volksmenge war, ein furchtbarer Sturm mit heftigem Ungestüm zu wüthen, bei völlig heiterem Himmel. Von allen Seiten erscholl das Angstgeschrei des bestürzten Volkes: »Barmherzigkeit, o Gott! Barmherzigkeit, o Gott! Heilige Jungfrau, steh uns bei!« — Und während dieses Angstgeschreies nahm der Sturm seine Richtung auf den Reliquien-Kasten, und drohte, ihn umzustürzen. Aber sehr bald verwandelte sich das Entsetzen des Volkes in hohe Freude; denn der Sturm wurde wie von unsichtbarer Hand zurückgetrieben, und toste auf einem nahe gelegenen Berge aus, wo er mehrere Bäume entwurzelte. Francesco trug kein Bedenken, vor dem hier versammelten Volke diesen Sturm als eine Wirkung der höllischen Mächte zu erklären. Sei aber dem, wie ihm wolle, so gab dieser Vorfall dem Triumphtage einen neuen Glanz.
Die Prozession setzte sich in Bewegung, und eine zahllose Menge von Leuten, die mit jedem Schritte wuchs, umwogte den Zug. Als man in Mugnano ankam, ging der Zug nach der Kirche Unserer Frau von der Gnade. In dieser Kirche wurde der heilige Leib auf dem Hochaltare zur Verehrung aufgesetzt.
Der Triumphtag war der zehnte August.
Schon der Triumphtag war durch ein Wunder schneller Heilung eines gewissen Angelo Blanco verherrlicht worden. Er hatte wegen heftiger Gesichtsschmerzen seit mehreren Monaten das Bett hüten müssen. Bei der Nachricht, der heilige Leib sei nahe, gelobte er, die Prozession zu begleiten, wenn er von seinem Uebel befreit würde; aber sogleich hatte er größere Schmerzen, als je. Kaum aber vernahm er den Schall der Stocken, sprang er, mit lebhaftem Vertrauen auf die Heilige, aus dem Bette. Ungeachtet seiner Schmerzen ging er aus dem Hause; und wie er auf dem Platze ankam, verschwand sein Uebel plötzlich.
5. Was am Tage der Oktav geschah.
Man hielt zu Ehren der Filomena eine achttägige Feier.
Am Tage der Oktav der Übertragung der Filomena sprang während des feierlichen Hochamtes, in Gegenwart einer großen Volksmenge, ein Kind von etwa zehn Jahren mitten in der Kirche auf, drängte sich durch das Volk, und eilte zu dem Reliquien-Kasten der Filomena hin, vor dem es dieser seiner Wohltäterin öffentlich Dank sagte. Alle, die es sahen, riefen: »Wunder! Wunder!« – Die Mutter des Kindes, eine arme Witwe, hatte es auf ihren Armen in die Kirche gebracht, und hatte bei dieser heiligen Messe bis zur Wandlung, während welcher das Wunder am Kinde geschah, die Heilige mit Vertrauen für dasselbe angerufen: sie nun erhob jetzt vor allen Andern, die Gott und die Heilige priesen, ganz vorzüglich ihre Stimme zur Danksagung. Das Kind war dergestalt gelähmt gewesen, dass es weder gehen, noch stehen konnte; das ganze Dorf, wo die Mutter wohnte, wusste es; und Alle aus dem Dorfe, die dies Wunder jetzt sahen, gaben Zeugnis, wie elend es gewesen war, und bezeigten dem Kinde ihre große Freude über das an ihm geschehene Wunder.
Der Ruf von diesem Wunder lockte zu der Vesper-Andacht eine so ungeheure Menschenmenge herbei, dass sie der Raum der Kirche nicht fassen konnte. Viele mussten draußen bleiben vor der Kirchthüre. Unter diesen, die draußen bleiben mussten, war auch ein Weib aus dem Dorfe Avella, die ein Töchterchen von etwa zwei Jahren, das durch die Blattern blind geworden war, in ihren Armen hielt. Man hatte die berühmtesten Ärzte der Hauptstadt zu Rate gezogen, aber alle erklärten das Übel für unheilbar. Die Mutter drängte sich durch die versammelte Volksmenge, und gelangte hin zum heiligen Leibe der Filomena. Voll des lebendigen Glaubens nahm sie Öl aus der Lampe, die vor der Heiligen brannte, bestrich mit demselben die Augen des Kindes, – und sogleich sah das Kind. Bei diesem Wunder erhob sich großes Freudengeschrei, und es entstand unter dem Volke eine Bewegung, die ein Ausbruch der Freude und der jubelnden Dankbarkeit war. Der Prediger Antonio Vetrano konnte kaum mehr seine eigene Stimme hören. Alle verlangten mit lauter Stimme das Kind zu sehen, an dem soeben sich Gottes Allmacht verherrlicht hatte. Ein Priester nahm das Kind in seine Arme, bestieg eine Galerie (einen Gang), und zeigte das Kind dem Volke, das Gott und die heilige Filomena pries.
6. Der marmorne Altar.
An den folgenden Tagen geschahen noch viele ähnliche Wunder.
Der Priester Francesco hatte anfangs nicht die Absicht, den heiligen Leib der Filomena in der Kirche Unsrer Frau von der Gnade zu lassen, sondern er hatte ihn für seine Hauskapelle bestimmt. Aber die vielen Wunder, die jetzt geschahen, überzeugten ihn, Gott wolle, Filomena solle in der Kirche verbleiben. Daher entschloß er sich, dieselbe in der Kirche Unsrer Frau von der Gnade zu lassen. Auch war er darauf bedacht, in dieser Kirche ihr einen Altar zu errichten. Wirklich wurde bald in einer Kapelle der Kirche dieser Altar errichtet. Aber die Einfachheit des Altares stand im Widerspruche mit der Berühmtheit der neuen Wunderthäterin unsers Jahrhunderts. Die Bewohner von Mugnano waren aber arm, und obschon sie zur Verherrlichung der Filomena hergaben, so viel sie konnten, so reichte es in jenen Zeiten der öffentlichen Unruhen in Italien kaum hin, die täglichen Ausgaben, welche die Verehrung der Filomena erheischte [erfordern], zu bestreiten [finanzieren].
in berühmter Advokat oder Rechtsbeistand zu Neapel, mit Namen Alexander Serio, trug seit langer Zeit eine große Andacht zur heiligen Filomena, und ebenso auch seine Gemahlin. Sie hatten in der Gegend von Mugnano bedeutende Besitzungen, und kamen im Jahre 1814, gerade als man wieder die Gedächtnisfeier der Uebertragung der Filomena beging, nach Mugnano. Serio litt schon seit mehreren Jahren an einem Uebel, das seine Kräfte aufrieb. Seine Gemahlin war darüber sehr betrübt; und da sie auf die Fürbitte der Filomena großes Vertrauen setzte, bat sie dieselbe um Genesung des Gemahles, und sie ließ auch Andere deßhalb zur Heiligen flehen. Der Tag des Festes, an dem sie ihr Gebet verdoppelte, und an dem ihr Vertrauen immer höher stieg, neigte sich schon zu Ende, als Serio, der mit ihr in der Kirche war, gerade beim letzten Segen, der mit dem Hochwürdigsten Gute gegeben wurde, die heftigsten Schmerzen in seinen Eingeweiden fühlte, so daß er seinen nahen Tod befürchtete. Man brachte ihn eiligst in die Wohnung zurück, und das Uebel machte so schnelle Fortschritte, daß man an seinem Aufkommen verzweifelte. Sein Zustand hinderte ihn, die heilige Beichte zu verrichten. Die bestürzte Gemahlin, ganz von Wehmuth besiegt, rief aus: »O heilige Filomena, ist also dieß die Gnade, die du uns bei Gott erbeten hast?! – Darauf ergriff sie, wie von einer inneren Einsprechung [Eingebung] geleitet, ein Bild der Filomena, warf es auf den Leib des dem Tode sich nähernden Gemahls, und bat sie nur noch um die Gnade, daß er vor seinem Tode mit den heiligen Sakramenten versehen werden könnte. Mit dieser Bitte verband sie zugleich das Gelübde, in der Kapelle der heiligen Filomena einen marmornen Altar errichten zu lassen. In demselben Augenblicke erhielt der Kranke den Gebrauch seiner Sinne und der Geisteskräfte, und versicherte, er befinde sich jetzt außer Gefahr; hier auf legte er seine Beichte ab, und nach beendigter Beichte war der Schmerz samt allen Zeichen der Krankheit, die ihn so lange gemartert hatte, wie verschwunden.
Serio und seine Gemahlin erfüllten das Gelübde genau.
Seit dieser Zeit bietet das berühmt gewordene Heiligthum der Filomena einen erfreulichen Anblick dar für die zahlreichen Pilger, die dahin wallfahrten. Besonders eine große Marmorplatte, die den Altar bedeckt, zieht die Augen Aller auf sich, weil man auf ihr noch die Spuren eines Wunders sieht. Als der Steinmetz mit dem Meißel über dieselbe fuhr, um sie gehörig anzupassen, spaltete sie sich der Breite nach in zwei Theile. Bei diesem Unfall waren viele Personen zugegen, denen der Unfall großes Leidwesen verursachte; der Künstler aber war in großer Verwirrung. Er konnte nichts Anderes mehr thun, als daß er den Sprung so gut als möglich ausbesserte. Der Sprung war aber an dem einen Ende mehr als einen Finger breit; der Künstler bemühte sich also, die beiden Theile durch eine Eisenklammer mit einander zu verbinden, und die Spalte zu verkitten. Aber von unsichtbarer Hand wurde die Hand des Künstlers geleitet, und die zwei Theile der Marmorplatte waren jetzt so zusammen gefügt, als ob sie nie einen Sprung bekommen hätte. Man sieht dort, wo sie gespalten war, einen dunkelfarbigen Strich, den die Wallfahrter, wenn man ihnen das Wunder nicht erzählen würde, für eine im Marmor sich befindliche Ader halten möchten.
Titel: Die heilige Filomena, Jungfrau und Märtyrerin - die Wunderthäterin des neunzehnten Jahrhunderts