Achtes Hauptstück. Noch einiges Wunderbare und Wunder verschiedener Art.
1. Die heilige erweist sich sogar dankbar gegen Menschen.
Als eines Tages der Priester Franzesko in die Kirche ging, um die heilige Messe zu lesen, sah er seine Mutter mit einem verstörten Angesichte auf ihn zukommen. Sie sagte zu ihm: » Schenke mir einen Augenblick; ich fühle mich gedrungen, dir etwas zu erzählen. « – Sie begann die Erzählung eines Gesichtes (oder einer Erscheinung) so sie die vorige Nacht gehabt hatte. » Ich sah, sagte sie, wie sich die Heilige zu einer Reise anschickte; und da ich befürchtete, sie wolle uns verlassen, weinte ich mit mehreren Bewohnern von Mugnano, und wir baten sie flehentlich, bei uns zu bleiben. Sie aber beruhigte uns mit einem Ausdrucke des rührendsten Wohlwollens, und sagte zu uns, sie werde morgen wieder zurückkehren; sie fügte bei, da die Familie Terres, der sie sehr verbunden sei, in einer großen Gefahr schwebe, fordere die Dankbarkeit von ihr, hinzugehen, um sie zu beschützen. « - Franzesko hielt das, was ihm die Mutter erzählte, für ein Werk der Einbildungskraft.
Jedoch dachte er ein wenig nach, und konnte sich nun nicht enthalten, der Familie Terres darüber zu schreiben. Als diese Familie seinen Brief las, staunte sie sehr, dass dieser von der Gefahr Erwähnung enthielt, welche sie in der vorigen Nacht bald ins Verderben gestürzt hätte. Der Hergang der Sache war dieser: – es kamen Diebe, die sich als fremde Soldaten verkleidet hatten, und deren Sprache sie nachahmten; sie wollten im Hause der Familie Terres während der Nacht untergebracht werden; als man ihnen aber die Thür nicht öffnete, wollten sie dieselbe sprengen, und sie drohten, alles zu verbrennen, und Alle zu morden.
So eben wollten sie das Morden beginnen, als alle in der Familie die heilige Filomena um Hülfe anflehten. „Nein, sagten die Flehenden, die Heilige wird uns nicht verlassen; beten wir mit Vertrauen, und wir werden aus der Gefahr errettet werden.“ – In demselben Augenblicke, als die Mörder nach Einsprengung der Thür sich gegen die Stiege stürzten, riefen außerhalb des Hauses mehrere wohlbekannte Stimmen: „Licht her! Licht her! Geschwind bringet Licht herein!“ Dieses Rufen wiederholte sich öfters; der Familie gab es neuen Mut, aber die Diebe erschreckte es so sehr, dass sie entflohen. Und jetzt traten mehrere Freunde der Familie Terres ein. Die Familie verwunderte sich über ihre Ankunft; man verglich alle Umstände des Ereignisses, und man konnte sich die Sache nicht erklären.
Jetzt aber, da der Brief des Franzesko Aufklärung gab, erkannten alle, auf Fürbitte der Filomena habe Gott es gefügt, dass die Nachbarn, die selbst nicht gewusst hatten, wie und warum sie so spät noch kamen, durch ihr Rufen die Diebe vertrieben. Sie dankten der Heiligen inniglich.
2. Der Holzacker.
Ein Holzhacker von Sirignano, namens Karlukico Neapolitano, hatte ein großes Vertrauen zur heiligen Filomena. Dieser redliche Mann trug stets ihr Bild bei sich, und wandte sich in seinen verschiedenen Bedrängnissen an sie. Eines Tages, als er sich auf der Reise befand, überfiel ihn die Nacht, und zwang ihn, eine Herberge zu suchen. In der Herberge fiel das Gespräch auf die heilige Filomena, und er zog ihr Bild aus der Tasche hervor, um es den Anwesenden zu zeigen. Es gefiel, und man bot ihm dafür nacheinander immer mehrere Geldstücke an; er aber antwortete, nicht einmal um einen römischen Thaler würde er's geben; denn es sei ihm ein schützender Gefährte. Darauf steckte er das Bild wieder in seine Brieftasche. Des andern Tages stand er sehr früh auf, und nahm den Weg nach dem Dorfe Sorbo, um dort zu arbeiten. Er kam in einen dichten Wald, und darin verirrte er sich so, dass er nicht wusste, wo er sich befinde, oder wohin er gehen solle. Er wandte sich deshalb im Gebete an die heilige Filomena, und sagte: »Meine liebe Heilige, gestern wollte ich dich nicht für ein bedeutendes Geld hergeben, indem ich deine Gesellschaft vorzog; heute siehst du mich in diesem Walde verirrt, und kommt mir nicht zur Hilfe! «
Kaum hatte er diese Worte gesagt, so begegnete ihm eine Jungfrau von beiläufig dreizehn Jahren; sie war von ausnehmender Schönheit und Anmut, und hatte ein himmelblaues Kleid; sie sah ihn an, und sprach: » Guter Mann, was fehlt dir? Was ist dir Widriges begegnet? « – Er sagte ihr seine Verlegenheit. Sie erwiderte ihm: » Das hat nichts zu bedeuten; folge mir nach; ich werde dich auf den rechten Weg führen. « – Und ohne etwas Weiteres zu sagen, ging sie voraus. Der verwunderte Holzhacker dachte: » Sieh doch, wie groß ist die Güte der heiligen Filomena! Kaum rief ich sie an, so eilte sie schon mir zu Hilfe; denn ich kann nicht zweifeln, sie selbst habe mir dieses liebenswürdige Mädchen zugeschickt. « – Mit solchen frommen Gedanken schritt er immer vorwärts, bis endlich die Jungfrau still hielt, und sich zu ihm wendend, sprach: » Verfolge jetzt diesen Weg beiläufig eine Meile weit; dann wirst du einem Weibe begegnen, die einen Korb auf dem Kopfe trägt, und an den nämlichen Ort hingeht, wohin du gehen willst. Schließe dich an sie an, und in kurzer Zeit wirft du dort anlangen. «
Karlukcio dankte der Jungfrau verbindlichst (am verbindlichsten); und sie schieden voneinander. Da er sich umwandte, um zu sehen, wohin das gefällige Mädchen gehe, sah er sie nicht mehr. – Bald kam er in eine neue Verlegenheit; der Fußweg, auf dem er ging, schloss sich an mehrere andere an; und nun wusste er nicht, welchen er wählen solle. Plötzlich, als er sich umsah, erblickte er ein Weib; sie stand ihm nahe, und hatte einen Korb auf ihrem Kopfe. Er sagte zu ihr: » Weißt du, welcher Weg zu dem Dorfe Sorbo führt? « Die Bäuerin antwortete ihm: » Ob ich den Weg nach Sorbo wisse? Es ist ja meine Heimat. Folge mir nur nach; ich werde dich hinführen. « – Und in kurzer Zeit langten sie dort an. Erst jetzt kam dem Holzhacker der Gedanke, jenes freundliche Mädchen sei die heilige Filomena selbst gewesen. Durch mehrere Tage war der gute Mann vor Verwunderung außer sich; sein Herz war entflammt von Liebe und Andacht zur Heiligen.
3. Die vermisste Urkunde
Zu Ariano, in dessen Nähe die Kapelle der Einsiedelei des heil. Petrus steht, wurde ein Edelmann im Jahr 1831 vor das Gericht gerufen, weil man ihn beschuldigte, dass er sich dem Gesetze, welches ihn zum Soldatenstande verpflichtete, auf eine unerlaubte Weise habe entziehen wollen. Die Beschuldigung war aber unbegründet; denn es war ihm auf gesetzliche Weise eine Urkunde der Freisprechung ausgefertigt worden, und er brauchte sie nur vorzuzeigen, um sich zu rechtfertigen. Er suchte nun diese Urkunde unter seinen Papieren, konnte sie aber unmöglich finden. Es kam der Tag, an dem er erscheinen sollte. Der Edelmann, dem nun keine Menschenhülfe übrig blieb, wandte sich zu Gott; und um von Ihm desto gewisser erhört zu werden, flehte er die heilige Filomena um ihre Fürbitte an.
Indem er betrübt sich auf einen Sessel warf, seufzte er: » Ach, große Heilige, du allein kannst mich aus dieser großen Drangsal erretten. « Weinend und betend schlummerte er ein. Da kam ihm vor, er sehe die Heilige, und sie sage zu ihm: » Höre auf, dich zu betrüben; du wirst deine Urkunde finden. Geh' in die Kapelle der Einsiedelei des hl. Petrus; dort steht bei dem Weihwasserkessel eine kleine Kiste; öffne sie, und du wirst auf einer Seite ein Bild der Verkündigung Mariä, auf der andern aber das Blatt finden, das du suchest. «
Groß war seine Freude. Er erwachte nun; sogleich eilte er hin zur benannten Einsiedelei. Ungeachtet mancher Hindernisse, die jedoch bald gehoben wurden, trat er in die Kapelle, sah die bezeichnete „Kiste, sperrte das Schloss auf, und fand das Bild samt der Urkunde. Von Freude entzückt rief er auf: „Dies war also kein leerer Traum! Gelobt und gepriesen sei du, o meine heilige Beschützerin!“ – Mit der Urkunde in der Hand kehrte er nach Ariano zurück, und verkündete allenthalben, was ihm Wunderbares widerfahren sei.
4. Die Fürsprecherin
Unweit von Nola trug eine verheiratete Frau eine sehr große Andacht zur heiligen Filomena. In ihrer Familie herrschte der Gebrauch, sich alljährlich zu versammeln, um das Fest der heiligen Filomena auf eine recht glänzende Weise zu feiern. Die Frau, die jetzt beiläufig dreißig Jahre alt war, geriet im Jahre 1830 in eine sehr gefährliche Krankheit. Sie war schon ohne Bewusstsein, rang durch drei Tage mit dem Tod, und jeden Augenblick befürchtete man ihr Verscheiden; ja, man beschäftigte sich schon mit Vorkehrungen zu ihrer Beerdigung. Das Volk betete für sie inbrünstig um ihre Erhaltung; es klagte sogar, dass die heilige Filomena sich bei dieser Gelegenheit so wenig hilfreich erweise; es sagten nämlich die Leute in ihrem Gebete zur Heiligen: » Während diese fromme Frau so viele Anstalten zu deiner Verherrlichung trifft, so viel Geld verwendet, um ein schönes Bild von dir machen zu lassen, und während Jedermann, der von ihrer Freigebigkeit erbaut ist, dich um die Gnade ihrer Genesung anflehet; lässest du dir ihre Genesung nicht angelegen sein, und lässest sie sterben. Weder Bitten noch Klagen hemmten das Übel. «
Gegen das Ende des dritten Tages trat der Todeskampf vollends ein, als auf einmal ein großer Lärm entstand, welchen die Saumtiere im Stall erregten. Die Personen, die bei der Sterbenden waren, befürchteten, dieser Lärm möchte den Tod der Kranken beschleunigen, da der Stall sich gerade - unter ihrem Zimmer befand; sie gingen hin, um die Saumtiere zur Ruhe zu bringen; sie kehrten aber alsbald zurück, mit dem Gedanken, die Frau werde nun verschieden sein. Aber sie fanden dieselbe bei voller Lebenskraft auf ihrem Bette sitzend; und sie rief ihnen mit kräftiger Stimme entgegen: » Ich komme aus einer andern Welt; ich verdanke mein Leben der heiligen Filomena. Rufet alle Hausgenossen herbei; ich werde euch erzählen, was ich gesehen habe, damit ihr mit mir die Macht dieser Heiligen bewundern könnet. Noch einmal, ich wieder hol' es, rufet meine Kinder herbei; ruft alle Leute herzu. « – Man befolgte ihren Wunsch so schnell als möglich; und es kamen Greise und Kinder, auch einige Priester, die im Hause wohnten, zusammen, um die wunderbar Gerettete zu sehen, und ihre Erzählung zu hören.
Nun dankte sie vor allem der heiligen Filomena in den lebhaftesten und rührendsten Ausdrücken; dann begann sie die Erzählung und sprach: » Kaum war ich verschieden, so fühlte ich mich von zwei bösen Geistern gebunden. «– Bei diesen Worten überzog Blässe ihr Angesicht; – und sie sprach weiter: » Ich rief von ganzem Herzen die heilige Filomena an, und sah sie sogleich herbeieilen; sie war weiß gekleidet, und von einer himmlischen Schönheit. « – Hier war das Angesicht und das ganze Wesen der Erzählenden ein Ausdruck der Freude. – Sie erzählte fort: » Sie sagte zu mir: „Fürchte dich nicht, ich bin zu deiner Verteidigung gekommen.“ Hierauf wandte sie sich gegen die bösen Geister, und rief ihnen zu: „Was machet ihr da? Diese Seele gehört mir an.“ Und sogleich verschwanden die bösen Geister.
Sie nahm mich nun bei der Hand; und da sie mich zittern sah, suchte sie mich zu beruhigen, indem sie mit einem holdseligen Lächeln wiederholte, ich solle mich nicht fürchten, denn sie werde meine Fürbitterin sein. Wir traten nun vor das Angesicht des göttlichen Erlösers, der bei meinem Anblicke die Augen nieder schlug, und eine ernste Miene annahm. Dies setzte mich noch mehr in Schrecken; aber die Heilige, die immer lächelnd mir Muth einzuflößen suchte, nahm selbst für mich das Wort; sie sprach: „Mein Bräutigam, es geziemt Deiner liebreichen Barmherzigkeit, dass diese Seele, die mir so ergeben ist, in das Leben zurückkehren dürfe, auf dass sie sich mehr dem Geschäfte des Heils widme. Sie lebte im Kreise einer zahlreichen Familie; die zeitlichen Geschäfte nahmen sie zu sehr in Anspruch, und es blieb ihr wenig Zeit übrig zur Sorge für ihr Heil.
Als verheiratete Frau hatte sie viele Geschäfte und große Sorgen; sie konnte weder eine heilige Messe mit Andacht hören, noch den heiligen Rosenkranz mit Geistesversammlung beten; ich bitte Dich also, sie ins Leben zurückzurufen, damit sie noch Zeit gewinne, ihr Hauptgeschäft besser zu verrichten.“ – Der Herr aber gab keine Antwort, und ließ sich nicht bewegen. Da nahm unsere Heilige wieder das Wort, und sprach: „Mein Bräutigam, ihre Eltern leben noch; sie sind sehr alt, und sie muss Sorge für sie tragen. Was wird aus ihnen werden, wenn ihnen diejenige mangelt, die sie jetzt mütterlich pflegt?“ – Auch dieser neue Beweggrund, den da die heilige Filomena vorbrachte, rührte das Herz des göttlichen Richters nicht; und Er verharrte in seinem Schweigen.
Dies sein Stillschweigen und sein Ernst zermalmten mich ganz; aber die Heilige suchte, mich durch ihr liebliches und holdseliges Lächeln zu ermutigen und meine Angst zu beschwichtigen. – Sie hielt nun zum dritten Male bei dem göttlichen Richter an, und sprach: „Mein Herr und mein geliebter Bräutigam, wenn Du ihr nicht wieder das Leben schenkt, was soll denn aus den unschuldigen Kindern werden, die sie zurückließ? Sie müssen wahrscheinlich zu Grunde gehen.“
Jesus Christus blieb aber gleich schweigend und ernst. - Meine Fürbitterin sagte jetzt: „Aber, o Herr, bedenk doch, dass die Mutterstelle an zwei Dienern des Altars vertritt; wenn ich von Dir diese Gnade nicht erlange, was soll aus ihnen werden?“ –Auch hierauf erfolgte keine Antwort. Ganz entflammt von neuem Eifer rief sie mit entschlossener Zuversicht: „Mein teurer Bräutigam, erinnere Dich alles dessen, was ich zu Deiner Ehre litt, und bedenk' den Spott, die üble und schmachvolle Behandlung, so ich in Rom Deinetwegen ausstehen musste. Wenn diese Person nicht ins Leben zurückkehrt, so wird man mich in Dieser Gegend nicht mehr verehren; ich aber eifere für diese Ehre, und wünsche, ihrer nicht beraubt zu werden.“
Sie sprach diese Worte mit o viel Feuer, dass der höchste Richter davon gerührt zu sein schien; Er nahm eine freundliche und Beruhigung einflößende Miene an, und sprach zu ihr: „Filomena, meine teure Braut, tue, was du beliebt. Ich lasse dir vollkommene Freiheit.“ – In demselben Augenblicke befand ich mich in meinem Bette, von allem Übel befreit, und vollkommen gesund. « - Viele Menschen, die nun herbeieilten, um die vollkommen Gesunde mit eigenen Augen zu sehen, und ihre Erzählung zu hören, empfanden in ihren Herzen die heilsamsten Wirkungen. Die Verehrung der heiligen Filomena nahm immer mehr zu. Und die Bewohner dieser Gegend entschlossen sich, ihr zu Ehren eine große und schöne Statue errichten zu lassen.
5. Die Stumme
Im Jahre 1831 gelangte zum ersten Mal die Kunde von den Wundern der Filomena nach Martonano, einer Stadt im jenseitigen Kalabrien. Ein Stiftsherr Namens Nikolaus Lanza, las mit großer Begierde den Bericht von der Heiligen, und verbreitete überall die Kunde von dieser neuen Wundertäterin. In kurzer Zeit ward ihr Name in jeder Familie bekannt, und mit frommer Freude wurde sie gepriesen. Eine arme Witwe hatte eine Tochter, Namens Rosa Milano, die jetzt siebenzehn Jahre alt war. Die Tochter war krank, und alle angewandten Mittel blieben ohne Erfolg. Das Übel nahm mit jedem Tage zu, und die Leidende wurde endlich stumm. Die Krankheit wurde für unheilbar erklärt. Nun hörte auch sie von den Wundern der heiligen Filomena. Man beredete beide, sich zum Priester Nikolaus Lanza zu verfügen. Sie baten ihn, er möchte bei der Heiligen ihr Fürbitter sein, auf dass sie das Wunder der Heilung wirke. Der demütige Priester hielt sich nicht für geeignet, solches Wunder von Filomena zu erbitten; da nun aber Mutter und Tochter mit Bitten nicht abließen, und Rosa Milano weinend und schluchzend ihm ihre verdorrte Zunge zeigte; so entschloss er sich, ihrer Bitte zu willfahren.
Er legte ein Bild der heiligen Filomena auf das Haupt des niederknienden Mädchens, und bat Gott um Heilung durch die Verdienste und Leiden der heiligen Märtyrin. Er stellte an das Mädchen folgende Frage, ohne zu bedenken, wie lächerlich diese Frage sonst klänge: » Rosa, seit wann kannst du nicht mehr reden? « – Augenblicklich antwortete sie: » Ach! Ach! Ach! Ach! Seit so viel Tagen! « Und sie bestimmte genau die Zahl der Tage. Und von nun an sprach sie mit einer Leichtigkeit, über welche man staunen musste.
6. Die Schiffbrüchigen
Im Oktober 1832 erhob sich im adriatischen Meerbusen ein fürchterlicher Sturm; zwei Schiffe litten Bruch, man sah zu Dieste den Schiffbruch vom Hafen aus. Die Nachricht davon verbreitete sich mit größter Schnelligkeit in dieser Stadt; Scharen von Menschen eilten ans Ufer des Meeres. Das Schauspiel war schrecklich anzusehen. Vergebens bemühte man sich, den Unglücklichen Hülfe zu leisten; die Wut der Wellen vereitelte alle Versuche. Die Unglücklichen riefen mit kläglichem Geschrei, das alle Herzen mit Wehmut erfüllte. Nur der Gedanke an die heilige Filomena flößte den mit Mitleid erfüllten Zuschauern noch Hoffnung ein, die Unglücklichen könnten gerettet werden; die Zuschauer sagten: » Die Wundertäterin vermag bei Gott alles; sie wird die Unglücklichen, die uns um Hülfe anflehen, vom Tod erretten. « – Von allen Seiten erhob sich ein Freudenruf, und der Name der Filomena erscholl bis an den Himmel; denn sieh, die Schiffbrüchigen befanden sich in wenigen Augenblicken, ohne zu wissen wie, am Ufer, und priesen in Vereinigung mit ihren Landsleuten, die Retterin Filomena. Aber die Freude war noch getrübt, da der Eigentümer des einen dieser Schiffe vergebens seine zwei Kinder suchte, deren jüngeres noch nicht acht Jahre alt war. Die schäumenden Wogen hatten diese Kinder weit vom Ufer verschlagen, und man meinte, die noch mit den Wogen kämpfen zu sehen. Menschliche Hülfe war da unmöglich. Aus jeglichem Mund erschollen deshalb die Worte: » Heilige Filomena, vollende dein Werk, und rette die zwei armen Kinder! « – Das jüngere Kind erinnerte sich mitten in der Gefahr an die Statue der heiligen Filomena, welche man vor kurzer Zeit in der Kirche der Kapuziner aufgestellt hatte; mit Vertrauen betete das Kind: » Du neue Heilige, die du neulich zu den Kapuzinern zu Dieste gekommen bist, erbarme dich unser, und rette uns! « – Und während es noch an der Seite seines Bruders mit den Wogen kämpfte, der Vater am Ufer jammerte, und das Volk voll des Vertrauens auf die Heilige, im Gebete verharrte, half die Wundertäterin: – sieh, die Kinder traten ans Land vor den Augen der staunenden Menge, und ein allgemeiner Freudenruf pries Gott und seine glorreiche Dienerin.
7. Die von einem Sturmwind ergriffene Witwe
Im Monate Juli 1832 wütete in einem Theile Apuliens ein schrecklicher Orkan oder Sturmwind, und verursachte große Verheerungen. Eine arme Witwe, Namens Anna Maria de Philippo, befand sich eben, als der Sturm ausbrach, auf dem Felde, und wollte in ihren Wohnort Foggia zurückkehren. Als sie bei der Kirche, die Jesu und seiner heiligsten Mutter geweiht ist, vorüberging, fasste sie der Wirbelwind, der zur nämlichen Zeit viele Menschen ums Leben brachte; er hob die Witwe von der Erde, und warf sie wieder herab; er ergriff sie von Neuem, und, sie im Wirbel drehend, riss er ihr die Schuhe und einen Teil der Bekleidung vom Leibe; dann rollte er die Person im Staube herum und schleuderte sie von einer Seite auf die andere; sie war in Gefahr, durch die Heftigkeit der Stöße das Leben zu verlieren. Die Wut des Sturmwindes nahm jeden Augenblick zu; das Weib empfahl ihre Seele nun der heiligsten schmerzhaften Mutter, und der heiligen Filomena, indem sie sich erinnerte, dass die Kapelle und das Bildnis der Filomena sich in der nahe gelegenen Kirche befinde.
Da ließ der Wirbel ihr einen Augenblick Ruhe; sie benützte denselben dazu, dass sie mit möglichster Schnelligkeit an die Kirchtüre eilte; aber diese war geschlossen. Sie rief: » Ach Himmel! Liebe heilige Filomena, erbarme dich meiner! Um Gottes willen eröffne mir die Tür, damit ich nicht ohne die heiligen Sakramente sterbe. « Kaum hatte sie dies gesagt, so öffnete sich die Thür, gerade nur so viel, als nötig war, hineinzukommen; und in dem nämlichen Augenblick hörte das Weib eine Stimme, die ihr zu rief: » Anna, Anna, komm geschwind herein; ich bin es, die dir die Tür öffnet. « So erzählte sie in Gegenwart mehrerer Personen, die sich hernach um sie versammelten. Die Thür, deren Schlüssel der Messner bei sich hatte, war offen; und er versicherte, dass er sie morgens geschlossen hatte. Die Frau, die vom Regen ganz durchnässt war, und deren ihr noch gebliebene Hälfte der Kleider zerrissen war vom Sturmwind, bekräftigte ihre Erzählung durch solche Ausdrücke, dass man am Geschehenen nicht zweifeln konnte; mehrere andere Nebenumstände bestätigten die Wahrheit ihrer Erzählung. Das wunderbare Ereignis hielt man endlich für so erwiesen, dass ein öffentlicher Schreiber den Auftrag erhielt, es aufzuzeichnen, und die Schrift in der Urkunden-Sammlung von Foggia niederzulegen.
8. Die große Glocke
Zu Mugnano zersprang die große Glocke der Kirche, wo sich der heilige Leib der Filomena befindet. Das gute Volk von Mugnano wollte eine neue Glocke machen lassen, und scheute keine Kosten. Man ließ geschickte Arbeiter kommen, und empfahl ihnen diese Arbeit auf das dringendste. Man ließ sogar Gebete zu Gott verrichten, auf dass Er dieses Werk segnen möchte. Damit die heilige Filomena auch für dieses Werk sich bei Gott verwende, wurde beschlossen, auf die Glocke solle ihr Bild geprägt werden, und dieselbe solle besonders ihrer Verehrung gewidmet sein.
Die Arbeit geschah im Mai 1831. Als der Guss erkaltet war, und man die Glocke aufdeckte, sah man gleich beim ersten Anblick einen sehr wesentlichen Fehler, welcher sie unbrauchbar machte. Es war also ein neuer Guss nötig; aber das arme Volk war nicht im Stande, die neuen Auslagen zu bestreiten; und der neue Guss konnte also nicht stattfinden. Das Leidwesen der Leute war groß. Man sagte: » Welch ein Schade! Eine so schöne Glocke! Das Bild der Heiligen ist so schön abgeprägt. « – Einige sprachen: » Wie, hat sie diesen unglücklichen Zufall nicht verhindern können? « – Andere sagten: » Dies ist dazu geschehen, damit sie eine Gelegenheit habe, ein neues Wunder zu wirken. Es gab Leute, welche so weit gingen, dass sie sagten: » Man muss der Heiligen Gewalt antun, das sie das Mangelnde ersetze «; und man hörte sie vor dem Altare der Filomena sagen: » Wo bleibt deine Ehre? Wie, auf der Glocke steht dein Bild, und du legst so wenig Wert darauf? Was wird man von dir sprechen? Was wird aus deinem Namen und aus deinem Ruhme werden? «
Freilich gab es auch Leute, welche unbescheiden genug waren, zu den Arbeitern zu sagen: » Aus Gewinnsucht habt ihr eine doppelte Arbeit nötig gemacht, und uns betrogen. Wart ihr aber dem Werke nicht gewachsen, warum sagtet ihr das nicht? Warum habt ihr uns so schöne Versicherungen gegeben? Warum habet ihr diesen kostspieligen Aufwand gemacht, der nun ganz unnütz ist, und wovon wir das Opfer sein müssen? « – Zu solchen Vorwürfen kamen noch die fürchterlichsten Drohungen, so dass es die Arbeiter nicht mehr wagten, öffentlich zu erscheinen, aus Furcht misshandelt zu werden. Sie warteten demnach mit Ungeduld auf die kommende Nacht, um sich in ihre Heimat zu begeben. Die Vorwürfe waren aber unbegründet. Die Arbeiter waren fromme, gottesfürchtige Leute, und ihre Geschicklichkeit war anerkannt. Sie flehten nun die heilige Filomena um Hülfe an; besonders tat es ihr Meister, der am meisten gekränkt worden war; er fühlte in seinem Herzen ein außer ordentlich großes Vertrauen auf Filomena.
In der Nacht ließ gegen drei Uhr am Orte, wo sie beisammen waren, sich ein großes Getöse hören, das sie umso mehr in Erstaunen setzte, da überall die größte Stille herrschte. Schrecken bemächtigte sich der Arbeiter, da sie wähnten, in wenigen Augenblicken werde wütender Pöbel sie steinigen. Nur ihr Meister konnte dies nicht wähnen; ihm schien, es sage ihm in seinem Herzen eine Stimme: » Geh hinaus, und sieh, die Gnade ist dir gewährt, und die Glocke ist hergestellt. Begib dich nur hinaus, und betrachte sie mit deinen eigenen Augen. « – Er sagte dies feinen Gefährten; sie aber, in ihrer Todesfurcht, wähnten, es sei besser, ihre Seelen Gott zu empfehlen, und sagten, übrigens könne er hingehen und sehen, was an der Sache sei. Er ging hin, und Niemand begegnete ihm auf dem Wege. Er langte bei der Glocke an, besah das Werk, und sprach: » Nein, hier ist keine Täuschung; ich sehe die fehlenden Teile, ich betaste sie. O Gott! O heilige Filomena! «
Voll der Freude lief er zu seinen Gefährten; über seine Nachricht erfreut, begaben sie sich mit ihm zur Glocke, und sahen das Wunder; alle priesen Gott und die Heilige. Der Ruf von diesem Wunder hatte alsbald alle Bewohner in den Häusern aufgeweckt; man lief herbei zur Glocke; man wollte selbst sie sehen, berühren. Alle priesen Gott, die Gottesmutter und die heilige Filomena. Der Glocke waren auf wunderbare Weise Aufhängteile oder Ringe hinzugefügt worden, und über dieselben war auf wunderbare Weise noch ein Stück von einem Hammer, ungefähr drei Pfund schwer, hingelegt, und schien, das gewirkte Wunder noch mehr bestätigen zu müssen. Man vereinigte sich deshalb mit der Geistlichkeit schon des anderen Tages, um dies Denkmal der mächtigen Fürbitte der heiligen Filomena in die Kirche zu übertragen. Und die Andacht zu Filomena erhielt noch höheres Leben.
Titel: Die heilige Filomena, Jungfrau und Märtyrerin - die Wunderthäterin des neunzehnten Jahrhunderts