Drittes Hauptstück - Wunder, die an dem heiligen Leibe der Filomena geschahen.
1. Wunderbare Veränderung der Stellung des heiligen Leibes.
Die Einfassung des heiligen Leibes hatte ihre Mängel. Wohl hatte man durch Verzierungen diese Mängel zu ersetzen gesucht. Ein weißseidenes Oberkleid, als Sinnbild der Jungfräulichkeit, und darüber ein purpurrotes Gewand, als Sinnbild des Märtyrertums, bildeten die Bekleidung der Filomena. Ihr Haupt, auf das man künstliche Haare von kastanienbrauner Farbe angebracht, war mit einem Blumenkranze geschmückt; in ihrer Rechten hielt sie einen Pfeil; aus ihrer Linken erhoben sich ein Palmzweig und eine Lilie. Der heilige Leib, so wie er lag, hatte nur unbedeutende Länge.
Als man im Jahre 1814 daran dachte, die Kapelle der heiligen Filomena zu verschönern, wollte man auch einen neuen Kasten für ihren heiligen Leib verfertigen.
Eines Morgens sahen aber die Wallfahrter die Stellung des heiligen Leibes ganz verändert, ob schon die Siegel am Reliquien-Kasten sorgfältig angebracht waren, und den Schlüssel die Familie Terres zu Neapel besaß, welche ihn Niemandem anvertraute. Die Sache schien unglaublich zu seyn. Vor kurzer Zeit war der heilige Leib ausgestreckt und die Knie waren erhoben in Gestalt eines Winkels gewesen; aber jetzt sah man die Knie auf einem Polster ruhen, der unter ihnen lag, und man sah den Leib sich etwas erhebend, so daß er eine sitzende Person vorstellte. Der Kopfpolster war auch nicht mehr an seiner Stelle; er lehnte sich jetzt am oberen Theile des Reliquien-Kastens an. Der rechte Arm schien ebenfalls ein Kissen näher an sich gebracht zu haben, so daß jetzt seine Stellung viel natürlicher war. Der Pfeil, dessen Spitze vorher gegen das Herz gekehrt war, hatte nun eine entgegengesetzte Richtung. Der linke Arm, der den Palmzweig und die Lilie hielt, hatte sich nun auch verhältnismäßig erhoben; und durch diese neue Stellung war jetzt ein Theil des purpurroten Gewandes sichtbar. Selbst das Angesicht der Heiligen hatte sich verschönert: das Kinn war jetzt rund, und sah aus, wie das Kinn einer schlummernden jungen Person; die Lippen, deren weite Oeffnung das Angesicht verunfalltet hatte, waren jetzt so geöffnet, daß sich eine wunderbare Freundlichkeit aussprach; – die Gesichtszüge waren jetzt liebenswürdig, und lebhaft war die Farbe der Wangen. Die Haare, die zuvor größtenteils rückwärts am Halse oder auf der linken Schulter verdeckt gelegen, waren nun vollkommen sichtbar, und breiteten sich auf eine sehr leichte und anmutige Weise aus.
Sobald in Mugnano der Ruf von diesem Wunder erscholl, strömten alle herbei, um sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen. An der Veränderung konnte niemand zweifeln; aber wie es überall solche gibt, die nicht gern an Wunder glauben, so gab es auch hier Leute, die da sagten, diese Veränderung sei kein Wunder, sondern ein Menschenwerk. Man zeigte aber diesen die vier Siegel des Bischofes von Potenza, die unversehrt waren, und bewies ihnen, der einzige Schlüssel, den man zum Reliquien Kasten habe, befinde sich stets zu Neapel in den Händen der Gemahlin des Terres. Aber solche, die vorsätzlich blind seyn wollen, kann man selbst durch die handgreiflichen Beweise nicht überzeugen.
Gerade bei dieser Gelegenheit erhielt ein zehnjähriges Kind, das durch die Blattern blind geworden war, plötzlich das Augenlicht, und zwar in Gegenwart vieler ausgezeichneter Personen, die von Neapel gekommen waren, um an dem Reliquien Kasten die Siegel zu untersuchen, und an demselben den Schlüssel zu bewähren. Es war, als wolle Gott durch das am Kinde geschehene Wunder bestätigen, die Veränderung des heiligen Leibes der Filomena sei kein Menschenwerk.
2. Was mit der Kleidung und mit den Haaren des heiligen Leibes sich zutrug. – Das wunderbare Größerwerden.
Da der Reliquienkasten zu klein, und zu einfach war im Verhältnisse zu dem schönen Altare, so beschloss man, einen neuen Reliquien-Kasten machen zu lassen. Die Sache zog sich aber in die Länge, umso mehr, da ein schönerer Reliquienkasten dann auch erforderte, dass die Kleidung der Filomena schöner seyn müsste. Man bemerkte nun an der Kleidung, dass die Farbe sehr abschoss; dies hatte man früher nicht wahrnehmen können; auch sah man, das Gewand trenne sich, und eine unsichtbare Hand reiße ein Stückchen nach dem andern los, und werfe absichtlich die Stückchen umher, so dass der Boden des Reliquienkastens damit bedeckt war. Hieraus schloss man, Gott Selbst fordere, man solle die Heilige schöner bekleiden.
Nun wollte man mit der Verschönerung nimmer zögern. Als man aber das Maaß nahm, bemerkte man, dass die Haare der heiligen Filomena gegen die rechte Schulter in hinlänglicher Menge verteilt waren, zur linken Seite aber eine Lücke ließen, wegen der geringen Anzahl der Haare, die man das erste Mal, als man die Heilige bekleidete, auf dieser Seite angebracht hatte. Diesem Übelstande durch natürliche Haare abzuhelfen, schien nicht geziemend genug; aber Haare von Seide anzuschaffen, erlaubte die Zeit nicht mehr. Als man in dieser Verlegenheit am Vorabend vor Pfingsten die heiligen Reliquien der Filomena aufdeckte, sah man, dass neue lange Haarlocken jene Seite deckten, wo bisher eine Lücke gewesen war; sie schienen frisch gerichtet und gekämmt zu feyn, und ihr Glanz und ihre zierliche Verteilung gab dem Äußeren der Filomena eine neue Anmut. Die Leute riefen: »Wunder! Gott hat sie verherrlichet! «
Die Heilige bekleidete man nun mit den neuen reichlichen Gewanden, und ehe man sie in den neuen Reliquienkasten, der bedeutend länger, als der erste war, legte, sprachen alle, die aus Andacht dahingekommen waren: »Unsere Heilige scheint uns in ihrer neuen Bekleidung viel schöner und größer zu seyn, als vorher!« Indessen hielt man es für eine Täuschung der Augen. Als man aber die Heilige in den neuen Reliquienkasten legte, überzeugte man sich, der heilige Leib sei wirklich auf wunderbare Weise größer geworden: denn, anstatt dass er im neuen Reliquienkasten bequem ruhen konnte, wie es das genau genommene Maaß versprochen, war er darin sehr eingeengt, und hatte nicht Raum genug.
Es wurde noch dreimal ein Reliquienkasten gemacht, und allemal ein bedeutend längerer; und immer war der heilige Leib neuerdings gewachsen. Selbst die Kleidung, die vorher zu lang gewesen, war jetzt allzu kurz. Hier ist noch folgender Umstand sehr merkwürdig: bei der zweiten Versetzung des heiligen Leibes in einen neuen Reliquienkasten wollte man sich noch mehr überzeugen, ob denn dies Größerwerden des heiligen Leibes gewiss durch ein Wunder geschehe; deswegen gebrauchten einige Priester die Vorsicht, dass sie den heiligen Leib verkürzten; aber ungeachtet sie die Gebeine zusammen fügten und die Einfassung verkürzten, geschah das Größerwerden des heiligen Leibes dennoch.
Ein Kardinal, Erzbischof von Neapel, kam in Folge eines Gelübdes zum fünften Mal, um die Reliquien der heiligen Filomena zu verehren, da er zu ihr eine besondere Andacht trug. Als nun der heilige Leib aufgedeckt wurde, bemerkten die Anwesenden, dass der Kardinal nach einigen Augenblicken großer Aufmerksamkeit eine Verwunderung nicht verbergen konnte. Während er die heilige Messe las, heftete er, wie in Entzückung, oft seine Augen auf die Heilige; und gleich nach der heiligen Messe sagte er in Gegenwart des Erzbischofs von Regio und des Bischofes Lombardi und zweier Priester aus seinem Gefolge so laut, dass es auch das Volk hörte: »Meine Herren, es sind jetzt sechs Monate, dass der Reliquienkasten an fünf verschiedenen Stellen versiegelt wurde; die Heilige war aber nicht so, wie ich sie jetzt sehe.« – Hier auf zeigte er ihnen die Lage des Pfeiles, der Füße, der Haare, und selbst die Stellung des Leibes, und verglich alles mit dem vorigen Zustande, in dem es vor seiner Abreise gewesen war; und er fügte die Worte hinzu: »Man sieht wohl, dass bei unsrer Wundertäterin ein neues Wachstum stattgefunden hat; und ich bin selbst bereit, das Zeugnis davon abzulegen.«
3. Der plötzliche Ernst auf der Stirn.
Im Juni 1832 befanden sich in Mugnano viele vornehme Leute, die gekommen waren, um die heilige Filomena zu verehren. Als sie dieselbe anblickten, wurden sie von Verwunderung und zarter Andacht so durchdrungen, dass sie niederknieten, und dann aufstanden, um den Altar zu küssen, und ihn ehrfurchtsvoll mit der Stirn zu berühren. Der Anblick der heiligen Filomena hatte für sie etwas so Anziehendes, dass sie kaum ihre Augen von ihr abwenden konnten. Alle Augenblicke riefen sie: »O, wie schön ist sie! wie schön ist sie! Das Angesicht ist wie aus dem Paradies. « – Plötzlich sah man aber einen hohen Ernst an der Stirn der Heiligen, und ihre Züge verfinsterten sich.
Der Priester Francesko war dabei gegenwärtig; er staunte, und gestand, dass er an Filomena noch niemals eine ähnliche Veränderung wahrgenommen habe. Und eben dies bezeugten auch mehrere Personen aus Mugnano. Man begann alsbald zu beten: und die vorige Heiterkeit kehrte zurück auf die Stirn der Filomena; und es lag etwas Himmlisches in ihrem Antlitz. Aus den Augen aller flossen Freudentränen, und aus jeglichem Munde erscholl das Lob Gottes. Was aber den Zeugen dieses Wunders besonders auffiel, war, dass einer der Anwesenden mit Tränen im Auge und mit der erbaulichsten Demuth bekannte, er habe vorher sehr wenig Glauben an unsere heilige Religion gehabt, und dies Wunder habe sein Herz so gerührt, dass er jetzt von der Wahrheit derselben überzeugt sei. Er dankte der Heiligen innig, und bat sie, von ihm ein reiches Geschenk zur Verschönerung ihres Altares anzunehmen.
4. Was an den Augen der heiligen Filomena ganz Außerordentliches geschah.
Oft zeigten sich an den Augen der heiligen Filomena ganz außerordentliche Bewegungen; und dies geschah meistens, wenn man von ihr außer ordentliche Gnaden begehrte.
Im Jahr 1832 trug sich Folgendes zu. Alberto Teska, aus einer der vornehmsten Familien von Avellino, war von seiner frühesten Jugend an mit einer großen und schweren Gebrechlichkeit behaftet. Alle Arzneimittel wurden vergebens angewandt; sie verschafften ihm nicht einmal eine Linderung. In seiner Familie herrschte eine große Andacht zur heiligen Filomena; man entschloss sich also, nach Mugnano zu wallfahrten, um dort durch die Fürbitte der Filomena die Genesung des Alberto zu erlangen.
Während diese Wallfahrter mit inniger Andacht vor der Heiligen beteten, bemerkten sie an ihrem Angesichte verschiedene Veränderungen, und auch insbesondere, wie sie ein Auge öffnete, und den Kranken und seine Familie ansah. Dies schien ein Zeichen zu sein, sie werden erhöret werden. Einige Tage hindurch ging es dem Alberto auch wirklich besser; aber bald verfiel er in einen Zustand, der noch schlimmer, als der vorige, war. Dessen ungeachtet verloren die Seinigen die Zuversicht auf Filomena nicht; sie fragten zu ihr im Gebete: »Wir lassen nicht ab, dich anzurufen um diese Gnade; unsere Familie betrachtet sich als dein eigen; wie wäre es möglich, dass du uns die Bitte nicht gewähren möchtest? « – Sie reisten nach Avellino zurück, ließen aber vom Gebete nicht ab.
Zu Ende Septembers wallfahrteten sie wieder nach Mugnano, und beteten hier noch inständiger. Gleich am Morgen des ersten Tages sahen sie dieselben Veränderungen an dem Angesichte der Filomena, die sie früher gesehen hatten. Durch diese Zeichen der Huld ermutigt, kamen die abends wieder in die Kirche, und baten, man möchte ihnen den Reliquienkasten zum zweiten Mal aufdecken. Aber der Himmel war mit schweren Wolken überzogen, und es fiel ein so starker Platzregen, dass man in der Kirche sogar beim Schein großer Kerzen, die man anzündete, die Gesichtszüge der Filomena nur unvollkommen wahrnehmen konnte.
Alle Anwesenden waren darüber betrübt; aber plötzlich drang ein Licht durch ein gegen Morgen stehendes Fenster und fiel auf das Angesicht der Heiligen, so dass man ihre Gesichtszüge bequem betrachten konnte. Dies war ganz wunderbar; denn von der Abendsonne konnte dies Licht nicht kommen. Man sah da auf eine sehr deutliche Weise, wie die Augen der Filomena sich achtmal öffneten und zwar mit bewunderungswürdiger Lebhaftigkeit. Die fromme Familie, ganz von Freude erfüllt, zweifelte nicht mehr an der Erhörung ihrer Bitte. Und wirklich befand sich Alberto nach einigen Tagen vollkommen gesund.
Titel: Die heilige Filomena, Jungfrau und Märtyrerin - die Wunderthäterin des neunzehnten Jahrhunderts