Viertes Hauptstück - Wunder, die an der Statur und mit Bildern der Filomena geschahen.
1. Die Statue bei einer Prozession. – Was am Tage darauf geschah.
Am 10. August 1833 begann man die Gedächtnisfeier der Übertragung der heiligen Filomena. Bei der Prozession trug man die Statue oder Bildsäule dieser Heiligen. Sie ist von Holz; und niemals hatte man bei ähnlicher Gelegenheit etwas Außerordentliches, weder in der Schwere, noch in den Verzierungen derselben wahrgenommen. Diesmal aber fühlten die Träger bei jedem Schritt eine ungewöhnliche Last; und obschon sie kräftig waren, sahen sie sich doch gezwungen, still zu halten. Es traten andere Kräftige an ihre Stelle, aber auch die waren der Last nicht gewachsen. Es traten abermals andere hin, die Statue zu tragen; aber auch diese fühlten sich zu schwach. Sie alle vereinigten endlich ihre Kräfte und ihre Arme; und so gelang es ihnen, obschon nicht ohne große Anstrengung, die Statue in die Kirche zurückzubringen.
Die Blicke aller Leute richteten sich, wegen dieses sonderbaren Ereignisses auf die Statue, und alle, die sie aufmerksam betrachteten, sogar auch kleine Kinder, sahen auf ihrem Angesichte eine ungewöhnliche Röte, die ein allgemeines Erstaunen erregte. Am Nachmittage des andern Tages gingen drei Fremde in die Kirche, um den heiligen Leib zu verehren; sie knieten vor der Statue nieder, und bemerkten, dass an dem unteren Theile des Kinnes ein Kügelchen sich zeigte, das wie Kristall glänzte. Einer von ihnen stand auf, und berührte dies Kügelchen mit der Hand; als er die Hand zurück zog, sah er sie mit einem flüssigen und kleberigen Stoffe benetzt; und er zeigte diesen nun seinen Gefährten. Diese berührten aus Andacht damit ihre Stirnen; und, indem sie das Angesicht der Statue anblickten, sahen sie, dass aus demselben von allen Seiten ein wunderbarer Schweiß quoll. Dieser Schweiß vereinigte sich in Tropfen, die auf beiden Seiten des Kinnes herabrieselten, und in Gestalt eines dicken Fadens über die Brust herabflossen. Die Farbe des Gesichtes war so lebhaft, als wäre die Statue ein lebendiger Mensch; aus ihren Augen strahlte ein lebhafter Glanz. Die Zeugen dieses Wunders riefen noch andere Personen herbei. Francesko, der Seelsorger der Gemeinde, lief auch herzu.
Sie untersuchten den Stoff, und erkannten, er sei ein in Kristallen angeschossenes Manna, das zähe und dicht war, und bei der Berührung anzog und abstieß. Alsbald füllte die herbeigeeilte Volksmenge die Kirche; als das Volk diesen Schweiß und das entflammte Angesicht sah, rief es laut: »Wunder! Wunder!«– Freudentränen flossen aus den Augen aller. Um aber die Andacht des Volkes zu befriedigen, und sich von der Wahrheit der Tatsache besser zu überzeugen, nahm man die Statue von dem Fußgestelle herunter, stellte sie auf den Boden der Kirche, und umgab sie mit vielen brennenden Kerzen. Auf diese Weise konnten alle in der Nähe dies wunderbare Ereignis beobachten. Man bemerkte ferner, dass das Band, welches an dem Halse der Statue hing, und woran eine Reliquien-Kapsel mit einigen Teilen der heiligen Gebeine der Filomena befestigt war, mit einer andern Flüssigkeit benetzt war, die sich von der ersten ganz unterschied. Dieselbe war dichter, und verbreitete einen lieblichen Geruch, wie das kostbarste Rauchwerk.
Von diesem Tage an nahm die Verehrung der Filomena beträchtlich zu, und verbreitete sich weit hin. Eine Menge kalter und verstockter Herzen bekehrte sich, gerührt durch die Wunder der Filomena, von denen sie sich überzeugten, so sehr sie sich gesträubt hatten, an dieselben zu glauben.
2. Wunder, die mit Bildern der heiligen Filomena geschahen.
Sehr zahlreich sind die Wunder, die mit Bildern der heiligen Filomena geschahen. Ich will nur eines und anderes erzählen. Die Bewohner von Kastelvetere freuten sich, vorzugsweise von Filomena Wohltaten erhalten zu haben. Sie wollten sich ihr dankbar erzeigen, und sammelten eine Geldsumme, um ihr eine Kapelle mit einem marmornen Altare zu erbauen. In dieser Kapelle sollte ein Gemälde aufgehängt werden, das den heiligen Leib der Filomena vorstellte, wie er zu Mugnano ist; die Heilige war als Schlummernde gemalt. Dies Gemälde wollte man nun in die erbaute und bereits zu Ehren der Filomena eingeweihte Kapelle feierlich übertragen. Eifrige Priester hielten mit den Gläubigen geistliche Übungen; eine allgemeine Kommunion, die sehr zahlreich war, wurde gefeiert; und mit großer Andacht war das ganze Volk von Kastelvetere versammelt, dem Bilde in feierlicher Prozession entgegen zu gehen.
Aber in dem Augenblick, als sich der Zug in Bewegung setzte, kam ein fürchterlicher Sturm, und der Himmel war verfinstert; man zweifelte schon an der Möglichkeit, die Prozession halten zu können; aber der Priester Francesko, der dabei zugegen war, ermutigte das fromme Volk, und ließ durch das Läuten aller Glocken das Zeichen zum Aufbruche geben. Alsbald zerstreute sich der Sturm, die Wolken teilten sich, und der Himmel wurde wieder heiter. Nimmer rollten die Donner; heilige Lobgesänge erschollen und es ertönte liebliche Musik. Bald kam der feierliche Zug in die Nähe des heiligen Bildes, das auf einer schön geschmückten Trage (oder Tragbahre) aufgestellt war.
Freudenruf erscholl von jeglichem Munde, und jegliches Auge füllte sich mit Freudentränen. Das Volk von Kastelvetere begrüßte mit Entzücken die Heilige, und sie antwortete ihm auf wunderbare Weise mit ihren Augen: denn man sah an dem Bilde das rechte Auge sich öffnen, und bald öffnete sich auch das linke: ein liebliches Licht strahlte aus den Augen, und erfüllte die Herzen mit Gefühlen der zärtlichsten Andacht. Die Frauen nahmen sich den Schmuck ab, und legten ihn auf die Trage zum Zeichen ihrer innigsten Verehrung.
Der fromme Zug nahm die Richtung zur Kirche. Aber die Trage war bedeutend breiter als einige Gassen, durch welche der Zug gehen sollte. Und dennoch schritten die Träger des Bildes vorwärts durch die all zu engen Gassen, ohne sich einen Augenblick aufzuhalten, und ohne der Trage eine Wendung zu geben. Über dies Wunder staunten alle; und so kam man glücklich ans Ziel der Prozession.
Schon der Vorabend dieser Feierlichkeit war durch folgendes Wunder verherrlichet worden. Eine Frau von Montemarano war schon drei Monate schwer krank gewesen, und da ihre Leiden täglich zunahmen, wurde sie kleinmütig. Am Vorabende der Feierlichkeit sagte sie in ihren Schmerzen: »Alle - Mittel find vergebens; kein Heiliger im Himmel hat Mitleid mit mir; o Jesus, lasse mich sterben; denn das Leben ist mir eine Last. « – Als sie diese Worte gesprochen hatte, verfiel sie in einen tiefen Schlaf. Da erschien ihr eine Jungfrau von zartem Alter und großer Liebenswürdigkeit, und sah sie mit ernster Miene an.
Die Jungfrau war von zwei Engeln begleitet, und sprach zur Kranken: »Soll es denn wahr sein, dass du keinen Heiligen in dem Himmel findest, der sich deiner erbarmen will? « Und nun lächelnd setzte die Jungfrau die Worte hinzu: »Küsse dieses Bildchen der Jungfrau und Märtyrin Filomena, und du wirst Gnade erhalten. « Die Kranke küsste das Bildchen mit Ehrfurcht, und hörte alsbald die Engel sagen: » Gnade ist ihr widerfahren; Gnade ist ihr erwiesen. « Und als sie erwachte, war das Übel samt allen Schmerzen verschwunden. Sie ging mit ihrem Gemahl nach Kastelvetere, um der Feierlichkeit beizuwohnen, und der heiligen Filomena für die erwiesene Gnade öffentlich zu danken.
Ich will nun ein anderes Wunder erzählen, das mit einem Bilde der Filomena gewirkt wurde. Der Bischof der alten Stadt Lucera, Andreas de Portanova führte in seiner Hauptkirche die Verehrung der heiligen Filomena ein, um auf sich und auf eine geistliche Herde die Segnungen des Himmels herabzuziehen. Er verschaffte sich viele Bilder der Filomena und verbreitete sie in der Stadt. Gott wirkte eine Menge Wunder; unter andern auch folgendes. Der Bischof bedurfte in seiner Bildungsanstalt für Geistliche einen Lehrer der Wohlredenheit; er richtete ein Augenmerk auf Vincenz Radago, Stiftsherrn von Apricena, dessen Gelehrsamkeit allgemein bekannt war.
Aber dieser Geistliche litt seit längerer Zeit an einer Brustkrankheit, die sein Leben bedrohte; und das Blutbrechen und ein schleichendes Fieber hatten ihn fast ganz erschöpft. Er begab sich zum Bischof, und sagte zu ihm; »Wie könnte ich einem Amte vorstehen, das die stärkste Gesundheit erfordert? « – Der Bischof antwortete ihm: »Das Können, das übernehme ich, seien Sie ohne Sorge. « Der Geistliche erwiderte: »Aber Euer Gnaden müssen dann die Gabe der Wunderwirkung haben. « – Der Bischof unterbrach ihn mit den Worten: »Nein, diese Gabe habe ich nicht; aber hier ist Jemand, so statt meiner Wunder wirken wird. « – Dies sagend, nahm er ein Bild der heiligen Filomena, gab es dem Geistlichen, und sprach zu ihm: »Empfehlen Sie sich dieser Heiligen; durch ihre Fürbitte werden sie genesen, und meiner Bildungsanstalt nützlich werden. « – Und das Wunder geschah.
Titel: Die heilige Filomena, Jungfrau und Märtyrerin - die Wunderthäterin des neunzehnten Jahrhunderts